Homöopathie ist in unserem Kulturkreis die beliebteste Therapie-Alternative: Immer mehr Patienten lassen sich damit behandeln. Die auflagenstarken Kundenzeitschriften von Apotheken und Krankenkassen preisen Homöopathika an. Einiges davon wird von Krankenversicherungen erstattet. Die Zahl der Ärzte mit entsprechender Zusatzqualifikation steigt an. Seit einigen Jahren werden Hahnemanns Theorien in der medizinischen und pharmakologischen Ausbildung deutscher Universitäten gelehrt. Gleichzeitig aber müssen homöopathische Präparate in den USA Warnhinweise tragen: „Keine nachgewiesene Wirkung“ oder „Wirkung wird in homöopathischen Theorien des 18. Jahrhunderts behauptet“.
Wissenschaftler versuchen seit Jahren herauszubekommen, warum Homöopathie bei Patienten hilft – widersprechen doch deren Grundlagen völlig den Naturgesetzen: Wenn in einer Flüssigkeit kein Wirkstoff mehr nachzuweisen ist (ab D24 oder C12), könne pharmakologisch nichts mehr im Körper wirken, sagen die Forscher. Es könne nicht plausibel erklärt werden, wie sich zum Beispiel die gesamte Wassermenge des Atlantiks Informationen aus einem Tropfen der „Ur-Tinktur“ merken könne. Unlogisch sei, dass die Wirkung umso stärker sein solle, je höher verdünnt werde: Niemand könne zum Beispiel mit „homöopathischem Kaffee“ die Wirkung des Koffeins erhöhen. Es sei objektiv unmöglich, durch Schütteln und Reiben nur jeweils gewünschten Substanzen zu aktivieren: Schließlich enthalte das Lösungsmittel – zum Beispiel Wasser – eigene Substanzen (Natrium, Kalzium, Eisen), die nicht aktiviert werden sollen. Als Therapie-Prinzip wäre „Ähnliches mit Ähnlichem zu heilen“ weder durch medizinische, noch durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse gestützt (Impfen ist keine Heilung). Trotzdem steigt die Zahl derjenigen, die sich lieber homöopathisch behandeln lassen. Warum?
Stiftungsprofessur fand nicht mehr als Placebo-Wirkung
Immer wieder wurden Studienergebnisse veröffentlicht, die beweisen sollten, dass Globuli wirken. Die Karl und Veronica Carstens-Stiftung hat an der Berliner Charité eine Stiftungsprofessur finanziert, um das erforschen zu lassen. Nach vierjähriger Wissenschaftsarbeit und 5 Mio. Euro Förderungsgelder erklären Institutsleiter Professor Stefan Willich und Professor Claudia Witt: „Bisher ist nicht eindeutig belegt, dass sich homöopathische Arzneimittel von Placebo unterscheiden“. („Die Placebo-Republik“, Martin Lambeck, skeptiker 4/2013)
Selbst Studien, die beachtlich waren und gute Ergebnisse für die Homöopathie brachten, ließen sich nicht wiederholen. Je hochwertiger die vorgelegten Studien waren, desto schwerer war es möglich, irgendeinen Effekt der Homöopathie nachzuweisen.
Professor Edzard Ernst hat sich vom überzeugten Homöopathen zum weltweit renommiertesten Kritiker entwickelt. „Die Datenlage nach 200 Jahren Homöopathie und etwa 200 klinischen Studien ist eindeutig negativ". Niemand zählt die Zahl der „Therapie-Abbrecher“, also derjenigen, die vergeblich versucht haben, sich mit homöopathischen Mitteln zu kurieren. Bekanntgemacht werden nur erfolgreiche Behandlungen.
Im schlimmsten Fall werden Krankheiten verschleppt
Die australischen Gesundheitsbehörde NHMRC hat 1.800 Homöopathie-Studien ausgewertet. In keinem einzigen Fall konnte bewiesen werden, dass ein Mittel gegen konkrete Krankheiten hilft. Im Gegenteil, so die Behörde, könnten Patienten ihre Gesundheit gefährden, wenn sie auf wissenschaftlich geprüfte Medikamente verzichten. Trotzdem wird immer wieder über beeindruckende Behandlungserfolge berichtet. Wie passt das zusammen?
Die Homöopathie gilt als „sanfte“ Medizin. Das macht sie interessant für alle, die schlechte Erfahrungen mit den Nebenwirkungen von Medikamenten gemacht oder Angst davor haben. Diese Patienten suchen nach nebenwirkungsfreien Alternativen.
Pharmakologen bezweifeln, dass es so etwas gibt. Für sie steht ein Mittel, das keine Nebenwirkungen hat, unter dem dringenden Verdacht, auch keine Hauptwirkung zu haben. Ohne Hauptwirkung aber könnten selbst Globuli die Selbstheilungskräfte nicht mobilisieren. Weshalb fühlen sich Patienten nach einer homöopathischen Behandlung dennoch besser? Die Gründe sind in seriösen sozial-wissenschaftlichen Studien erarbeitet worden, haben aber nichts mit den Zuckerkügelchen zu tun.
Homöopathie wendet sich Kranken intensiv zu
Patienten geht es besser oder sie werden sogar gesund, weil der Homöopath sich ihnen intensiv zuwendet – er nimmt sich viel Zeit (vor allem bei der Erst-Anamnese), fragt ausführlich nach, versteht ihre Sorgen, fühlt mit und strahlt die Überzeugung aus, helfen zu können. Es ist belegt, dass Patienten eine Behandlung desto besser bewerten und eine Therapie desto eher anschlägt, je intensiver sich der Arzt mit ihnen beschäftigt und je optimistischer er sich über die Erfolgsaussichten äußert — völlig unabhängig davon, womit behandelt wird.
Der Schlüssel des Erfolges der Homöopathie liegt also vor allem im Versagen der Schulmedizin: Weil Ärzte sich viel zu wenig Zeit für ihre Patienten nehmen (können) und meist keine persönliche, vertrauensvolle Beziehung aufbauen (können), wenden sich Patienten an diejenigen, die genau das tun.
Zuwendung spüren selbst Tiere: In einer britischen Tierforschungs-Studie bekamen Hunde entweder ein Homöopathikum oder ein Scheinpräparat gegen Angst vor Sylvesterknallern. In beiden Gruppen verringerte sich die Angst bei gleich vielen Hunden.
Placebo-Erforschung mit erstaunlichen Ergebnissen
Die wissenschaftliche Erforschung des Placebo-Effekts hat in den letzten Jahren Erstaunliches zu Tage gebracht: Schwangeren wurde erzählt, ein Medikament helfe gegen Übelkeit, obgleich es pharmakologisch genau das Gegenteil bewirken müsste. Schein-Operationen am Knie, ausgeschaltete Herzschrittmacher und Pillen ohne Wirkstoff gegen Schmerzen – in diesen und vielen anderen Fällen führte allein der Glaube an die Wirksamkeit bei 20 bis 50 Prozent der Probanden zu messbaren Effekten.
Placebo-Effekte können deutlich messbare Reaktionen in Gehirn, Rückenmark, Immunsystem, Verdauungstrakt oder Herzkranz-Gefäße auslösen. Unsere Krankheiten lassen sich durch rein psychische Beeinflussung manipulieren. Selbst bei Patienten, die wissen, dass sie ein Scheinmedikament bekommen, sind Wirkungen nachweisbar. Deshalb kann Homöopathie auch bei denjenigen anschlagen, die nicht an die Wirkung der Globuli glauben.
Ein weiterer Grund, weshalb wissenschaftlich nicht beweisbare Therapien erfolgreich sein können, ist der Zeitpunkt. Wenn es dem Patienten nach einer Behandlung besser geht, wird vermutet, das habe die Behandlung bzw. das Präparat bewirkt. Muss es aber nicht: Patienten gehen oft erst dann zum Homöopathen, wenn sie schon einen längeren Leidensweg hinter sich haben. Oft ist dann aber der Höhepunkt der Krankheit überschritten. Viele Krankheiten und Beschwerden werden ganz von allein besser.
Neurodermitis geht oft von selbst zurück
Neurodermitis zum Beispiel entwickelt sich bei 90 Prozent der Betroffenen von selbst zurück (spätestens nach der Pubertät) – mit oder ohne Behandlung. Diese Selbstheilung gibt es aber bei lebenslangen und lebensgefährlichen Krankheiten nicht. Bei solchen Krankheiten stößt die Homöopathie an ihre Grenzen. Das ist nicht nur ein erhebliches Risiko für alle, die es dennoch versuchen. Für Komplementär-Mediziner Professor Willich ist das sogar ein „Kunstfehler“, wenn ein Arzt schwere Erkrankungen nur homöopathisch behandeln würde.
Ein Therapieerfolg ist erfahrungsgemäß umso größer, je aufgeschlossener und positiver der Patient dem Therapeuten und seinem Konzept gegenüber eingestellt ist. Viele suchen nach einer Alternative, weil sie persönlich unzufrieden mit der Schulmedizin sind oder ihr grundsätzlich nicht mehr vertrauen. Wer deshalb Homöopathie als Weg für sich gefunden hat, hat gute Chancen, dass sie auch hilft.
Bestimmte Menschen sind davon fasziniert, dass die Homöopathie sich gerade nicht mit Vernunft und Wissenschaft erklären lässt. Sie glauben daran, weil sie unbedingt daran glauben wollen. Davon lassen sie sich weder durch rationale Argumente noch durch Gegenbeweise abbringen.
"Medikamenten-Gläubigkeit" wird mit Globuli anerzogen
Bei uns darf jeder glauben, was er will. Aber in diesem Fall begibt man sich voll in die Hände des Homöopathen. Denn der entscheidet allein. Es ist nicht vorgesehen, dass man als mündiger Patient dem Arzt oder dem Heilpraktiker kritische Fragen stellt oder mitentscheidet. Im Gegenteil besteht die Gefahr der „Medikamenten-Gläubigkeit“, weil es für jede Gelegenheit ein Globuli geben soll.
Nicht nur in der Medizin wäre es verheerend, wenn immer mehr Menschen nur noch das akzeptieren, was sie persönlich für plausibel halten. Letztendlich zählen dann nicht mehr Vernunft und Naturgesetze, sondern nur noch persönliche Anschauungen, eigene Erfahrungen und das subjektive Bauchgefühl.
Alle, die so denken, sind leichter durch vermeintliche Heilsbringer zu verführen und zu manipulieren - so geschehen zum Beispiel bei den zahlreichen Anhängern des Dr. Matthias Rath, die fest davon überzeugt waren, mit Vitaminen Krebs und Aids heilen zu können.
Homöpathie ist auch ein Geschäft
Über einen Aspekt wird meist nicht so offen geredet: Homöopathie wird auch deshalb den Patienten nahegelegt, weil sie für die beteiligte Hersteller, Apotheken, Ärzte und Heilpraktiker ein gewinnbringendes Geschäft ist. Neben den Honoraren sind es vor allem die homöopathischen Arzneimittel. Davon wurden 2016 in deutschen Apotheken 55 Millionen Packungen im Wert von 520 Millionen Euro verkauft. Der MDR spricht sogar von 621 Mio. Euro. Die Hersteller der Homöopathika arbeiten mit den gleichen Methoden wie große Pharmafirmen – als Lobbyisten, als Veranstalter von Weiterbildung, als Sponsoren der Unis usw. 1978 trat das Arzneimittelgesetz in Kraft. Darin wurde festgelegt, dass homöopathische Arzneimittel zugelassen werden dürfen, ohne das vorher ihre Wirkung geprüft werden muss. Wesentlichen Einfluss hat dabei der damalige CDU-/CSU Bundestagsfraktions-Vorsitzenden Karl Carstens. Die erwähnte Stiftung trägt heute seinen Namen.
Verrechnet dagegen scheinen sich die Krankenkassen zu haben. Mehrere Kassen erstatten homöopathische Arzneimittel als freiwillige Zusatzleistung. Sie hatten sich erhofft, damit zusätzlich gesundheitsbewusste Mitglieder anzulocken. Nun hat eine Langzeituntersuchung der Techniker Krankenkasse gezeigt, dass Homöopathie-Nutzer 20 Prozent mehr Ausgaben verursachen, als andere Versicherte. Nicht wegen höherer Therapiekosten, sondern weil sie häufiger krankgeschrieben werden. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) forderte anlässlich des Deutschen Ärztetages 2017, den Krankenkassen müsse es künftig untersagt werden, homöopathische Leistungen zu erstatten.
Wer sich mit dem Thema ausführlicher beschäftigen will, dem sei das Buch „Die Homöopathie-Lüge“ von Christian Weymayer und Nicole Heißmann empfohlen. Trotz des provokanten Titels ist es ein sachlich argumentierendes Aufklärungsbuch mit sehr vielen Fakten. Wer nur kurz die wichtigsten Argumente benötigt, dem sei das Faltblatt für Patienten "Warum es keine Homöopathie in unserer Praxis gibt" empfohlen. Für begrenzte Zeit kann man sich die TV-Dokumention "Homöopathie: Wer heilt hat recht?" (MDR 2017) in der Mediathek ansehen.
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