Biologika sind zurzeit die teuersten Medikamente, mit denen eine Schuppenflechte behandelt werden kann. Aber weshalb sind sie so teuer? Ist die Produktion so kostenintensiv? Werden enorme Summe ausgegeben, um nach noch effektiveren Wirkstoffen zu forschen? Oder wollen die Pharmafirmen nur möglichst viel Geld für ihre Manager und Aktionäre herausholen?
Wer wenig Zeit hat, bekommt die Antwort in 2 Minuten und 13 Sekunden: Katie Porter, US-Abgeordnete der Demokraten, befragte in einer eindrucksvollen Anhörung den Vorstandsvorsitzenden (CEO) von AbbVie:
Anlass der Anhörung im US-Kongress war, dass die großen Pharmafirmen auch 2021 ihre Preise spürbar angehoben haben. In dem Video-Dialog geht es um das Leukämie-Medikament Imbruvica von AbbVie. Dessen Preis ist seit der Einführung 2013 in den USA um 82 Prozent auf jährlich 182.529 Dollar gestiegen. Das weltweit am meisten verkaufte AbbVie-Präparat ist aber Humira. Die Jahrespackung kostete 2003 in den USA 13.500 Dollar; aktuell sind es 77.000 Dollar (63.000 Euro) (1). Damit ist Humira in den USA seit der Markteinführung um 470 Prozent teurer geworden.
Porter wollte wissen, ob stimmt, was die Pharmaindustrie behauptet: der hohe Preis sei nötig wegen der enormen Forschungs- und Entwicklungsausgaben. Das könne doch auf Humira nicht zutreffen, weil es seit 2003 nicht mehr verändert wurde. Die Politikerin zeigte, dass AbbVie zwischen 2013 und 2018 zwar 2,45 Milliarden Dollar für Forschung und Entwicklung ausgegeben hat – aber mehr als 20-mal soviel für Dividenden und Aktienrückkäufe, nämlich 50 Milliarden Dollar. Katie Porter warf deshalb dem AbbVie-Chef vor, dass „Sie uns Lügen auftischen“. Es sei falsch, „dass wir astronomische Preise zahlen müssen, um innovative Behandlungen zu bekommen. […] Die Pharma-Realität ist, dass Sie die meisten Einnahmen Ihrer Firma dafür verwenden, um Geld für sich selbst und Ihre Aktionäre zu verdienen.“
Ist der Hersteller der Psoriasis-Medikamente Humira und Skyrizi ein Einzelfall? Wenn du das wissen willst, musst Du Dir etwas Zeit zum Lesen nehmen.
Ein Jahr lang wird jeder Preis gezahlt
In Deutschland zahlt die gesetzliche Krankenkasse jedes verschriebene Medikament, sofern es für die Behandlung der Krankheit zugelassen ist – unabhängig davon, wie teuer es ist. Seit 2016 ist im sogenannten AMNOG-Verfahren geregelt, dass der Preis für ein neu zugelassenes, patentiertes Arzneimittel vom Hersteller völlig frei festgesetzt werden darf. Seitdem steigen die Preise für neue Originalpräparate stetig und massiv an. Das bestätigen und kritisieren die jährlichen Berichte wie Arzneimittelreport der BARMER, Arzneiverordnungs-Report (AOK-nah) oder Innovationsreport der Techniker sowie die Bundesregierung auf entsprechende Fragen. Der Pharmakritiker Peter C. Gøtzsche bezeichnet diese Arzneimittelpreise als „Mondpreise“; "Ärzte ohne Grenzen" sprechen von einem „Missbrauch des Patentrechts“.
Der von den Firmen selbst bestimmte Preis wird ein Jahr lang gezahlt. In dieser Zeit wird geprüft, ob das Präparat einen Zusatznutzen gegenüber vergleichbaren Therapien hat. Ist es „nützlicher“, wird ein endgültiger Preis mit den gesetzlichen Krankenkassen ausgehandelt. Ansonsten erstattet die Kasse nur noch den Betrag, der für vergleichbare Präparate angesetzt ist. Das sind dann durchschnittlich 20 Prozent weniger als ursprünglich verlangt wurde; bei einem Viertel sogar bis zu 70 Prozent.
Die Krankenkassen fordern bisher vergeblich, dass die Pharmafirmen das Geld zurückzahlen, das sie ein Jahr wegen des ungerechtfertigt hohen Preises zusätzlich eingenommen haben. Aber selbst der abgesenkte Preis ist weiterhin hoch, weil auch vergleichbare Präparate hochpreisig eingestiegen sind.
So kommt der Preis eines Medikamentes zustande
In der Vergangenheit war der Preis für ein Medikament davon bestimmt, wie viel Geld in Forschung und Entwicklung investiert werden musste und wie aufwendig die Produktion war. Verwaltung, Vertrieb und ein angemessener Gewinn wurden für alle Medikamente gleichermaßen kalkuliert. „Medikamente wurden damals zu einem vernünftigen Preis verkauft.“ (2) Heute dagegen spielen die tatsächlichen Kosten eines Medikaments keine Rolle mehr.
Ganz offiziell erklärte zum Beispiel der Pharmakonzern Novartis: „Der Preis unserer neuen Medikamente basiert auf dem Wert, den sie für den Patienten, das Gesundheitssystem und die Gesellschaft haben. Dabei beziehen wir das Einkommensniveau, lokale Gegebenheiten und die wirtschaftliche Situation unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Tragfähigkeit mit ein“ (3) . Nur: „Wert“ oder „Nutzen“ sind sehr subjektive Größen. Je besser die Akteure im Gesundheitswesen davon überzeugt werden, dass ein neues Medikament einen hohen persönlichen Wert für die Patienten hat, desto höher kann der Preis angesetzt werden. Das erklärt, weshalb die US-Pharmafirmen bereits 2008 für Werbung mehr als doppelt so viel ausgegeben haben, als für die Erforschung neuer hilfreicher Wirkstoffe. In den Jahren danach stiegen sie weiter rasant an.
Der Preis eines Arzneimittels wird in den Pharmakonzernen danach bestimmt, was der von ihnen beeinflusste Markt maximal hergibt. Selten spricht das jemand so ehrlich aus wie der ehemalige Chef einer US-Pharmafirma. „Meine Investoren verlangen von mir ein Maximum an Gewinn. Es ist ein Geschäft. Wir müssen soviel Geld wie möglich machen“ (4). Seine Firma hatte den Preis für eine Pille von 13,50 Dollar auf 750 Dollar erhöht – das sind 5000 Prozent.
Öffentliche Forschung wird aufgekauft
Obwohl immer wieder neue, „innovative“ Medikamente auf den Markt kommen, sind die Forschungsausgaben der Pharmakonzerne relativ gering. Viele „Unternehmen betreiben heute im Grunde keine eigene Forschung mehr. Das machen öffentlich Einrichtungen“ (5) und Uni-Ausgründungen. Deren Ergebnisse werden systematisch beobachtet. Verspricht eine Innovation hohe Gewinne, kaufen die Pharmafirmen das Patent oder gleich die ganze Firma auf. Ein Großteil der Forschungsergebnisse ist bis dahin aus Steuermitteln finanziert worden. Das, was Pharmafirmen dafür bezahlen, ist ein Bruchteil dessen, was sie später damit gewinnen können. So zeigte eine Untersuchung bei neu eingeführten Krebsmedikamenten, dass die Investition von einem Dollar in Forschung und Entwicklung zwischen 3,30 $ und 55,10 $ (durchschnittlich 14,50 $) einbringen (Return on investment). Die Gewinne vor Steuern der zehn größten Pharmakonzerne bewegen sich seit Jahren um 25 Prozent pro Jahr. Zum Vergleich: Die Autoindustrie verdient 7 Prozent.
Die großen Pharmakonzerne sind reich und mächtig. Sie haben weltweit und systematisch Netzwerke aufgebaut und finanziert, mit denen sie unter Wissenschaftlern, Ärzten, Patienten und Politikern und anderen Meinungsführern immer mehr an Einfluss gewinnen. Trotz teilweise intensiver finanzieller und beruflicher Kontakte behaupten die meisten Akteure von sich selbst, sie seien immun gegen die professionellen Strategien der Pharmaindustrie. Diese „gefühlte Unabhängigkeit“ hat aber bisher nicht dazu geführt, dass sie Medikamentenpreise als „überhöht“ oder „inakzeptabel“ kritisiert haben – obwohl gerade Ärzte wegen der hohen Preise immer wieder eingeschränkt werden, diese Medikamente zu verschreiben.
So hängt es innerhalb Deutschlands zum Beispiel vom Wohnort ab, ob und wie gut jemand mit einem hochpreisigen Biologika versorgt wird. In Ländern ohne allgemeine Krankenversicherung sind für die meisten Erkrankten solche Behandlungen unerschwinglich.
Weniger lukrative Krankheiten werden vernachlässigt
Es sind vor allem die Krankenkassen und linke Politiker, die dazu aufrufen, sich dieser renditeorientierten Gesundheitsversorgung entgegenzustellen. Sehr bald würde sonst die gesetzliche Krankenversicherung an ihre finanziellen Grenzen stoßen. Sabine Richard, Versorgungsexpertin beim AOK-Bundesverband, fordert „eine gesamtgesellschaftliche Diskussion, wie die Solidargemeinschaft dauerhaft vor einer Überforderung geschützt werden kann.“ Die Linke im Bundestag schlägt vor: „Der Preis für Arzneimittel, deren Zusatznutzen belegt ist, sollte sich hauptsächlich an Produktions- und Entwicklungskosten orientieren“. Denn nur angemessene Arzneimittel-Preise würden sicherstellen, dass möglichst viele Patienten gut versorgt werden können.
Pharmafirmen bringen vor allem Neuigkeiten gegen Krankheiten auf den Markt, mit denen sehr viel Geld zu verdienen ist. Kritiker wie "Ärzte ohne Grenzen" halten das für ein „Marktversagen“. Dadurch würden weniger lukrative Krankheiten vernachlässigt wie z.B. Tuberkulose, Malaria und reine Tropenkrankheiten.
Die Corona-Pandemie hat es noch einmal besonders deutlich gemacht: Die Welt braucht Medikamente, die überall bezahlbar und erhältlich sind. Deshalb müssen für die Gesundheitsversorgung internationale und nationale Regeln durchgesetzt werden, die genau das langfristig erreichen.
Tipps zum Weiterlesen
- Arzneimittelpreise – Wie Patente und eine falsche Arzneimittelpolitik bezahlbare Medikamente und bedarfsgerechte Arzneimittelforschung behindern, MEZIS 2016
- 10 Mythen der Pharmaindustrie – Von zauberhaften Gewinnen und fehlenden Medikamenten, BUKO-Pharma-Kampagne, 2016
- Gewinn vor Gesundheit – Das fatale Geschäft der Pharmaindustrie, Blätter für deutsche und internationale Politik, 2018
- Wie Arzneimittelpreise entstehen und wie man sie senken kann, Bundesministerium für Gesundheit
- Biologika und Biosimilars – Merkblatt der Deutschen Rheuma-Liga e.V. [PDF-Download]
Fußnoten
(1) In Deutschland lagen die Jahres-Therapiekosten für Humira bei Einführung bei knapp 26.000 €. Seit der Patentschutz ausgelaufen ist und konkurrierende Biosimilars auf dem Markt sind, sind es nur noch 21.000 €. In den USA läuft das Patent bis 2023.
(2-5) Big Pharma – Die Allmacht der Konzerne, Dokumentation Arte-France 2020, Luc Hermann, Claire Lasko, Insaf Maadad Zitate sind mitgeschrieben, werden aber nicht den unterschiedlichen Interviewpartner zugeordnet. Ein öffentlich zugängliches Manuskript konnte nicht ermittelt werden.
In eigener Sache: Der Autor ist seit März 2021 Leiter der Arbeitsgruppe Medizin und Gesundheit bei Transparency Deutschland.
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