Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland hat seit 2016 einen neuen Träger mit kommerziellem Hintergrund, verändertem Konzept und eigenem Personal. Die gemeinnützigen Betreiber, die zuvor seit 2010 die Patientenberatung entwickelt hatten, mussten ihre Beratungsstellen schließen und erfahrene Mitarbeiter entlassen.
Seitdem diese Entscheidung im Juni 2015 durchgesickert ist, protestierten fast alle wesentliche Akteure des Gesundheits- und Sozialwesens heftig und verständnislos dagegen. Eine Online-Petition wurde von knapp 21.500 Personen unterschrieben. Der GKV-Spitzenverband und der damalige Patientenbeauftragte Laumann (CSU) ließen sich davon nicht beeindrucken.
Auf den ersten Blick sollte es zahlreiche Verbesserungen geben. Dafür wurden und werden pro Jahr fast 4 Millionen Euro mehr als bisher aus Krankenkassenbeiträgen bereitgestellt. Erst die Zukunft kann zeigen, ob diese Entscheidung letztendlich den Patienten nützt. Zweifel bestehen.
Call-Center der Krankenkassen übernahm UPD
Für die Jahre 2016 bis 2022 ist nun eine gemeinnützige Tochtergesellschaft der Duisburger Sanvartis GmbH neuer Träger der UPD. Dafür erhält sie jährlich 9 Millionen Euro, während die bisherigen Träger nur einen Jahresetat von 5,2 Millionen Euro hatten. Sanvartis betrieb zum Zeitpunkt der Übernahme der UPD nach eigenen Angaben die Call-Center eines Drittels der Gesetzlichen Krankenkassen und arbeitete außerdem für mehrere Pharmafirmen. Das Psoriasis-Netz hat ausführlich über diesen Fall berichtet.
Die "alten" Träger hatten einen Nachprüfungs-Antrag bei der Vergabekammer des Bundeskartellamts gestellt. Der wurde Ende August 2015 abgelehnt. Bei der Ausschreibung seien alle Verfahrensvorschriften eingehalten, so die Kammer. Zudem seien im Angebot der bisherigen Träger selbst Mängel aufgetaucht, die möglicherweise einen Ausschluss nach sich gezogen hätten („Gute Beratung, aber schlecht erreichbar“).
Die unterlegenen Träger-Vereine erklärten, darauf zu verzichten, Beschwerde oder Klage einzureichen. Sie könnten bei einem Streitwert von 7 x 9 Mio Euro nicht riskieren, Prozesskosten in Höhe von 300.000 Euro zahlen zu müssen.
Ab 2016 bessere Beratung an mehr Orten
Die Patientenberatung wird seit 2016 durch eine neu gegründete UPD gGmbH durchgeführt. Dazu erklärte die Sanvartis GmbH: „Ein umfangreiches Regelwerk wird sicherstellen, dass die Sanvartis GmbH keinen Zugriff auf die UPD, deren Geschäftsführer und Mitarbeiter oder deren Daten und das IT-System haben wird.“ Außerdem sei eine umfassende kontinuierliche Überwachung durch eine neutrale Kontrollinstanz vorgesehen. Der Wissenschaftliche Beirat der UPD werde einen „Auditor“ bestimmen, der die Unabhängigkeit überwachen soll. Der Beirat erhalte Weisungsrechte gegenüber der UPD und könne bei Verstößen den Vertrag kündigen.
Zukünftig sollen die Zeiten der Telefonberatung verlängert, verstärkt russisch- und türkisch sprechende Dolmetscher und mehr Ärzte und Rechtsanwälte einbezogen und Beratungen an 30 Orten durchgeführt werden. (Quelle: Sanvartis)
Erste Erfahrungen aus dem Januar 2016
Der bayerische Rundfunk hat im Januar 2016 einen ersten Bericht über die Sanvartis-UPD veröffentlicht. Darin wurde vor allem kritisiert, dass für die Beratung an 30 Standorten in ganz Deutschland lediglich sechs Vollzeitstellen vorgesehen sind. Das hieße, die Berater hätten an jedem Standort pro Woche nur acht Stunden Zeit für eine persönliche Beratung. Ähnlich knapp würde es für die drei Beratungsmobile: Auch für die seien nur sechs ganztags arbeitende Berater vorgesehen. Die sollen deutschlandweit 100 Kommunen einmal im Vierteljahr anfahren. Da eines dieser Mobile in Bayern stationiert werden solle, blieben für die anderen zwölf Flächen-Bundesländer nur zwei Mobile übrig.
Kommentar
Das Vergabeverfahren hatte mehr als ein „Geschmäckle“. Es fängt damit an, dass es rechtlich umstritten ist, ob die Neuvergabe der UPD europaweit ausgeschrieben werden musste. Da es nicht um staatliche Gelder geht, sondern um die Verteilung von Beiträgen der Krankenversicherten, wäre auch eine „freihändige“ Vergabe möglich gewesen. Zum Beispiel an die bisherigen Träger – nach öffentlichen Anhörungen und Diskussionen über (unbestritten) notwendige Verbesserungen. Stattdessen wurde hinter verschlossenen Türen entschieden. Lediglich der Wissenschaftliche Beirat der UPD wurde einbezogen, ohne aber selbst mitentscheiden zu können. Nach der endgültigen Entscheidung verließen zwei Mitglieder das Gremium unter Protest. Dieses Verfahren fördert die Politikverdrossenheit und widerspricht dem Leitbild des mündigen Patienten.
Aber es nützt vor allem den Interessen der Krankenkassen. Natürlich ist es anrüchig, dass als Bewerber eine Firma zugelassen wurde, die seit Jahren für gesetzliche Krankenkassen arbeitet. Genau deshalb hätte sie aus dem Bieterverfahren ausgeschlossen werden müssen.
Mit der Konstruktion, eine neue gemeinnützige GmbH zu gründen, soll ein Interessenkonflikt ausgeschlossen werden. Trotzdem bleibt diese neue UPD gGmbH Teil des Firmenkonsortiums von Sanvartis. Die Firma kann es sich als kommerzielles Unternehmen eigentlich nicht leisten, ihre zahlenden Kunden, d.h. die Krankenkassen, durch allzu deutliche Kritik zu verschrecken.
Die UPD hat den gesetzlichen Auftrag, Patientenorientierung im Gesundheitswesen zu stärken und Problemlagen im Gesundheitssystem aufzeigen. Das hat die "alte" UPD in ihren jährlichen Berichten an den Patientenbeauftragten der Bundesregierung gemacht. Es bleibt abzuwarten, ob auch die neue UPD im gleichen Maße die Krankenkassen kritisieren wird. „Wer ein Call-Center ausschreibt, bekommt auch nur ein Call-Center“, befürchteten die Länder-Patientenbeauftragten aus Bayern, Berlin und NRW. Wird sie sich mit fast doppelt so viel Geld nur noch auf reine Beratungstätigkeit konzentrieren – wenn auch auf hohem Nivea? Dann würde sich die gesetzlich vorgeschriebene "Unabhängigkeit" nur noch auf medizinische und juristische Einzelfall-Bewertungen beziehen.
Selbst, wenn sich die bisherigen Träger ihr Recht hätten einklagen wollen, war der Streitwert derart hoch, dass das Risiko viel zu groß gewesen wäre. Es scheint selbst gegen staatliches Handeln keine streitwert-unabhängige Klagemöglichkeit zu geben. Nur wer Geld genug hat, kann in so einem Fall gerichtlich klären lassen, was Recht ist.
Das eigentliche Dilemma ist, dass eine mit viel Engagement, Geburtswehen und Herzblut entstandene Institution zerschlagen wurde. Bestehende Kontakte, Netzwerke, Projekte mit anderen und qualifizierte Mitarbeiter – alles das wurde einem völlig unnötigen Wettbewerb geopfert.
GKV-Spitzenverband und der Bundes-Patientenbeauftragte haben sich für das Konzept eines kommerziellen Anbieters entschieden. Sie hätten aber auch mit den bisherigen gemeinnützigen Trägern und fast doppelt so viel Geld das bestehende Konzept und seine Mängel verbessern können. Natürlich vorausgesetzt, dass die offen für wesentliche Veränderungen (bessere Erreichbarkeit, längere Beratungszeiten, mehr Beratungsorte etc.) gewesen sind. Davon müsste man eigentlich ausgehen.
Politik muss handeln
Die Fraktionen im Bundestag sind aufgefordert, das Vergabeverfahren nach § 65b SGB V zu präzisieren, damit es frei von Interessenkonflikten, für die Öffentlichkeit transparent und hinsichtlich der Entscheidung demokratisch wird. Auch muss genauer beschrieben werden, was in diesem Zusammenhang "Unabhängigkeit" bedeutet. Da haben die Beteiligten offensichtlich unterschiedliche Vorstellungen. Die Aufgaben einer wirklich unabhängigen Patientenberatung sind ein zu hohes Gut, als dass man sie Partei- oder Krankenkassen-Interessen überlassen darf!
Tipps zum Weiterlesen
Monitor Patientenberatung 2015, UPD berichtet über Problemlagen im deutschen Gesundheitswesen
Unabhängige Patientenberatung: Privater Dienstleister erhält den Zuschlag, SPIEGEL-Online, 4.9.2015
Unabhängige Patientenberatung Deutschland: Vergabekammer bestätigt Übergang an neue Trägerorganisation, Deutsches Ärzteblatt, 4.9.2015
Sanvartis überzeugt mit dem besten Konzept, Stellungnahme der Firma 4.9.2015
Ab 2016 modernes Angebot einer unabhängigen und kostenlosen Beratung für Patienten, Presseerklärung des Bundesgesundheitsministerium und des GKV-Spitzenverbandes, 21.9.2015
Laumann verteidigt Vergabe der Unabhängigen Patientenberatung, Deutsches Ärzteblatt, 21.9.2015
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