- Die Siemens Betriebskrankenkasse (SBK) will von Hautärzten Geld zurück, weil sie aus ihrer Sicht zu Unrecht Biologika verschrieben haben.
- Der Hautärzteverband BVDD wirft der Kasse vor, ihre Forderungen bewusst mit mangelhaften Informationen begründet zu haben. Deshalb hat er bei der Aufsichtsbehörde eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht.
- Es ist zu befürchten, dass Dermatologen sich Ärger ersparen wollen und bei SBK-Mitglieder zurückhaltender verschreiben werden. Betroffene Patienten sollten sich in diesem Fall an ihre Krankenkasse wenden.
- Die Betriebskrankenkasse hat jetzt dem BVDD ein Gespräch darüber angeboten.
Die Siemens Betriebskrankenkasse (SBK) fordert von Hautärzten Geld zurück (Regress), weil sie gegen das „Wirtschaftlichkeitsverbot“ verstoßen hätten. Aus den Unterlagen wäre nicht zu entnehmen, ob hochpreisige Biologika verschrieben werden durften. Der Berufsverband Deutscher Dermatologen (BVDD) hat daraufhin eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die SBK eingereicht. Es besteht die Gefahr, dass Psoriasis-Patienten, die Mitglied dieser Betriebskrankenkasse sind, von den Ärzte vorsichtshalber keine teuren Präparate mehr verschrieben bekommen. In diesem Fall sollten Betroffene klären, ob und wie ihre Psoriasis-Behandlung gesichert ist.
Biologika und die dokumentierte Vor-Therapie
Die SBK hat bundesweit „zahlreiche“ Prüfverfahren gegen Dermatologen und Allgemeinmediziner beantragt. Aus deren Unterlagen gehe nicht hervor, ob sich die Mediziner an die Leitlinien gehalten hätten. Denn für jede Biologika-Verordnung müssten bestimmte Voraussetzungen erfüllt und dokumentiert werden. In solchen Fällen sei jede Krankenkasse verpflichtet, Regressforderungen prüfen zu lassen. Der BVDD dagegen wirft der Krankenkasse vor, die Akten nicht ausreichend nach vorhergehenden Therapien geprüft zu haben. BVDD-Vorsitzender Ralf von Kiedrowsky bezweifelt, ob das überhaupt möglich sei. Denn bei den Krankenkasssen würden die Unterlagen nur zehn Jahre aufbewahrt werden. Außerdem habe die SBK ignoriert, dass viele dieser Biologika als „first-line-therapy“ zugelassen seien. Die dürften verschrieben werden, ohne dass vorher mit anderen Medikamenten behandelt werde. In den für die Ärzte zuständigen regionalen Ausschüssen werden nun Vertreter der Kassenärzte und Krankenkassen gemeinsam prüfen, ob gegen das Gebot der Wirtschaftlichkeit verstoßen wurde.
Ärzte sichern sich ab
Auffällig viele Regressforderungen wegen „unwirtschaftlicher“ Verschreibungen gab es bei den Dermatologen seit Einführung der Biologika (2004) nicht. Sie mussten aber Biologika-Therapien ausführlich dokumentieren. Im Laufe der Jahre haben die Krankenkassen immer mehr für diese hochpreisigen Medikamente ausgeben müssen. Ihr Anteil an den gesamten Arzneimittel-Ausgaben betrug 2020 bereits 45,2 %, also fast die Hälfte. Daran waren patentgeschützte Haut-Medikamente übermäßig stark beteiligt. Das führte zu zahlreichen Vorschriften und Vereinbarungen, um diese Ausgaben zu begrenzen. Der BVDD schloss 2019 mit mehreren Krankenkassen einen „Psoriasis-Versorgungsvertrag“ ab. Der sicherte die Hautärzte gegen Rückzahlungsforderungen ab. Weil inzwischen auch Neurodermitis mit einbezogen wurde, heißt dieser Vertrag jetzt „DermaOne“. Dem sind bisher zehn Krankenkassen beigetreten – nicht aber die AOK und die Siemens BKK.
Kommentar
Erfahrungsgemäß halten sich die meisten Ärzte beim Verschreiben zurück, wenn sie mit finanziellen Einbußen rechnen müssen. Jeder Patient kennt das Argument: „Damit würde ich mein Budget überziehen“. Bekannt ist, dass z.B. die Dermatologen in Baden-Württemberg im Verhältnis zur Bevölkerung bundesweit die wenigsten Biologika verordnen. Das hat die Kassenärztliche Vereinigung dort mit deutlichen Regressandrohungen bewirkt – zum Nachteil der betroffenen Patienten. Deshalb ist davon auszugehen, dass Ärzte bei Patienten mit SBK-Mitgliedschaft seltener hochpreisige Medikamente verordnen werden – zumindest bis die konkreten Fälle in allen Gemeinsamen Prüfungsausschüssen entschieden worden sind . Auf Nachfrage erklärte uns dazu die Siemens BKK: „Unsere Versicherten können sich darauf verlassen, dass sie die für sie bestmögliche Behandlung erhalten. Sollten sie im Einzelfall auf Probleme stoßen, können sie sich selbstverständlich jederzeit an uns wenden.“ Wer trotzdem unzufrieden ist: Grundsätzlich kann man innerhalb von zwei Monaten in eine andere gesetzliche Krankenkasse wechseln.
Vorwürfe wegen Regressforderungen
Der Interessenverband der Dermatologen nennt deutlich höhere und damit dramatischere Zahlen als die Betriebskrankenkasse: Während die SBK von bundesweit 96 Regressfällen spricht, geht der BVDD von einer „hohen zweistelligen Anzahl“ aus. Laut SBK sollen die Ärzte durchschnittlich 3.000 Euro zurückzahlen, der BVDD dagegen behauptet, es seien „hohe vier- bis fünfstellige Eurobeträge“.
Der BVDD bezeichnet die SBK als „versorgungsfeindliche“ Krankenkasse. In diesem Fall ignoriere sie Zulassungsregeln oder prüfe die Akten nicht ausreichend. Das würde bewusst so gemacht, „um die Prüfverfahren in Gang zu setzen“. Außerdem sei es nicht das erste Mal, dass sie ihren Mitgliedern Leistungen verweigere.
Das sind starke Vorwürfe. Der BVDD ist nicht gut zu sprechen auf diejenigen Krankenkassen, die nicht ihrem „Selektivvertrag“ DermaOne beitreten. Schließlich garantiert der seinen Mitgliedern, dass sie keine Regressforderungen befürchten müssen. Der BVDD weist darauf hin, dass die SBK sich schon früher nicht an einem ähnlichen Vertrag beteiligt habe. Da ging es darum, dass die Kassen auch schon bei unter 35-Jährigen Hautkrebs-Untersuchungen bezahlen.
Es könnte noch einen weiteren Grund geben, weshalb der Ärzteverband die SBK so vehement kritisiert. In 2021 mussten die Kassenärzte hinnehmen, dass die Krankenkassen einseitig die „Rahmenvorgaben zu Regressen“ gekündigt haben. Darin hatte man sich geeinigt, „das Regressrisiko für die niedergelassenen Ärzt:innen deutlich zu verringern und ihnen Erleichterungen bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen zu verschaffen.“
Noch ist nichts endgültig entschieden
Es ist völlig offen, wie die Prüfungsausschüsse der verschiedenen Kassenärztlichen Vereinigungen entscheiden werden. Schwierig wird es, wenn sie zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, weil beide Seiten gute Argumente haben.
Man darf gespannt sein, ob die Aufsichtsbehörde der gesetzlichen Krankenkassen (Bundesamt für Soziale Sicherung) die Dienstaufsichtsbeschwerde akzeptiert. Es ist Aufgabe der Krankenkasse zu kontrollieren, ob Ärzte „wirtschaftlich“ verschreiben. Das ist für beide Seiten unangenehm, aber nicht völlig auszuschliessen. Letztendlich wird über eine Regressforderungen erst in einem gemeinsamen Ausschuss entschieden. Schließlich müssen hochpreisige Medikamente aus Versicherungsbeiträgen und Steuerzuschüssen bezahlt werden. Nur für diese Medikamentengruppe wurden z.B. in 2020 ingesamt 24,2 Mrd. € ausgegeben. Ein Betrag, der ständig steigt; nicht zuletzt auch deshalb, weil Pharmafirmen alles unternehmen, um das Verschreibungsverhalten der Ärzte zu beeinflussen.
Aber es gibt Hoffnung, dass sich die Situation vielleicht doch noch einvernehmlich klären lässt: Eine Sprecherin der Siemens Betriebskrankenkasse hat uns gegenüber erklärt, dass dem Berufsverband der Deutschen Dermatologen angeboten wurde, „über offene Fragen“ miteinander zu sprechen. Dialoge sind allemal besser als ungewisse Rechtsstreitigkeiten.
Anmerkung: Der Autor ist froh, mit einem Biologikum erfolgreich behandelt zu werden. Er hält aber die Jahreskosten von über 21.000 € für unbegründet hoch. Siehe: 🔗 Warum Biologika so teuer sind.
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Quellen:
Siemens-Betriebskrankenkasse fordert ungerechtfertigt Regresse, BVDD 24.10.22
Siemens-BKK: Ärzte zeigen Kasse an, APOTHEKE ADHOC 11.11.22
Biologika-Regresse: Dermatologen legen Dienstaufsichtsbeschwerde beim BAS ein, Ärztezeitung 11.11.22
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