In der ARD lief am 19. Oktober 2009 ein Film mit dem Titel "Heilung unerwünscht". Wie der Untertitel "Wie Pharmakonzerne ein Medikament verhindern" klingt das kräftig nach Verschwörungstheorie. Dabei ist die Geschichte um die Creme Regividerm nicht wirklich eine Verschwörung – sondern eher ein Stück, wie Pharmaindustrie und Forscher schon mal mit aus ihrer Sicht "kleinen Fischen" umgehen, die eine neue Methode gefunden haben. Doch der Wirbel kurbelt die Verkäufe natürlich extrem an – und das mit Hilfe des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.
Die Creme Regividerm war vor sehr langer Zeit bereits einmal angekündigt. Sie kam jedoch nie aus der Versenkung.
Ihre Entwicklung begann vor mehr als 20 Jahren. Ein Student mixte Vitamin B12 und Avocadoöl in eine Cremegrundlage, weil er gelesen hatte, dass das Vitamin Gehirnzellen erneuern könne. Er fragte sich, ob das auch bei Hautzellen funktionieren könnte. Seine Freundin wandte das Ergebnis bei ihrer Schuppenflechte an – und es half.
"Nach Jahren der Entwicklung wollten wir die Creme an eine Pharmafirma verkaufen, und mehrere waren auch interessiert", sagt Rüdiger Weiss, Geschäftsführer der Firma Regeneratio Pharma. "Wir wollten aber die Zusage, dass die Creme wirklich auf den Markt kommt. Die hat uns niemand geben wollen." So erwarb und behielt Weiss die Patente eben.
Filmemacher Klaus Martens erfuhr im Jahr 2008 von den Vorgängen um die nie erschienene Creme. Er recherchierte ein Jahr lang bei Pharmafirmen und Forschungseinrichtungen sowie Betroffenen in Deutschland und in den USA.
"Eine unglaublich spannende Geschichte", sagt Martens, der zuvor bereits für Filme über Wirtschaftskriminalität und -moral ausgezeichnet wurde. So erfuhr er, dass der Manager den Kauf der Creme für "seine" Pharmafirma ablehnte, sie aber sehr wohl bei seinem Sohn mit Neurodermitis anwandte.
Martens bescheinigt der Pharmaindustrie "eine Wagenburg-Mentalität". "Da wird dichtgemacht, wenn es mal ans Eingemachte geht oder wenn man fragt, ob der Nutzen wirklich so viel besser als bei bisherigen Mitteln ist", meint er. Auch bei Auskünften zu Nebenwirkungen seien die Firmen zurückhaltend.
"Die Creme wird seit über 20 Jahren nicht produziert, obwohl sie unbestritten für viele eine Lösung sein könnte", ärgert sich Martens. Während der gesamten Beschäftigung mit dem Thema sei ihm nicht einmal eine Nebenwirkung von Regividerm zu Ohren gekommen.
Im Film war unter anderen die Firma Wyeth genannt worden, der die Salbe angeboten worden sei. Die erklärte nach dem Film, dass die Salbe nicht ihr selbst, sondern der Tochterfirma Whitehall-Much angeboten wurde – und deren Mitarbeitern fehlten "entscheidende Wirksamkeitsnachweise" mit den sonst üblichen randomisierten, placebokontrollierten, doppel-blinden Studien mit großen Patientenzahlen. Zum Zeitpunkt des Angebots hätte es lediglich Erfahrungen mit 60 Psoriasis- und 70 Neurodermitis-Patienten gegeben.
Über die Creme
Regividerm enthielt "damals" Vitamin B12 und Avocadoöl. In einer Studie aus dem Jahr 2001 wurde eine ebensolche Creme mit einer Creme mit Calcipotriol (Vitamin D3) an 13 Patienten mit einer chronischen Plaque-Psoriasis verglichen. Zwölf Wochen lang wurde getestet. Die Forscher von der Ruhr-Uni Bochum und der Uni Dortmund schrieben ihre Beobachtungen ebenso auf wie die Patienten. Außerdem wurde eine Sonographie hinzugezogen.
Das Ergebnis: Die Calcipotriol-Creme zeigte schnellere Effekte. Aber: Im Langzeit-Ergebnis, nach zwölf Wochen, gab es keinen Unterschied zwischen den beiden Substanzen. Die Wirkung der Calcipotriol-Creme erreichte ihren Höhepunkt in den ersten vier Wochen, während die Vitamin-B12-und-Avocado-Creme konstant wirkte.
Die Patienten bescheinigten der Vitamin-B12-und-Avocado-Creme eine bessere Verträglichkeit. Die Studienschreiber folgerten aus ihren Beobachtungen, dass die Creme ein "deutliches Potenzial als eine gut verträgliche Langzeittherapie für die Psoriasis" hat.
Wie es weiterging
Die Vertriebsfirma Mavena brachte Regividerm schließlich Mitte November 2009 auf den Markt. Offensichtlich war es dann doch eilig: Die Creme wurde überraschend zehn Tage vor der angekündigten Markteinführung ausgeliefert. Sie wurde zunächst ausschließlich in Apotheken verkauft.
Die Creme wurde als Medizinprodukt zur Behandlung der Neurodermitis und Schuppenflechte getestet und zugelassen – im Bereich der Neurodermitis auch zur Behandlung von Kindern ab 1 Jahr. Zwar konnte auch davon schon jeder Arzt die Creme anrühren lassen. Vor allem das empfindliche Vitamin B12 machte solch eine Rezeptur aber recht teuer.
"Wir verwenden für die Regividerm-Salbe neue moderne Tuben aus Polyfoil-Material", erklärt Ruediger Weiss vom Hersteller Regeneratio Pharma. "Dafür mussten wir den Behörden Daten zur Stabilität des Wirkstoffs Vitamin B12 vorlegen. Diese Tests sind erst vor kurzem erfolgreich abgeschlossen worden."
Alles nur PR für Regividerm?
Kritiker fragen, warum Sendung und Markteinführung so nah beieinanderliegen. Apotheker warnen vor Euphorie: Bei diesem Präparat sind noch viele Fragen offen. Bislang sind nur wenige Daten veröffentlicht", sagte Professor Harmut Morck, Chefredakteur der Pharmazeutischen Zeitung vor der Markteinführung von Regividerm. "Es besteht weiterer Forschungsbedarf.“ Wer die Creme ausprobieren wolle, solle dies nicht ohne Rücksprache mit einem Experten tun. Patienten sollten ihre bestehende Arzneimitteltherapie nicht ohne Rücksprache mit dem Arzt ändern.
Auch Trittbrettfahrer stellten sich alsbald ein: Eine Apotheke in München bot einen Tiegel mit 24 Millilitern für 29 Euro an. Nach erbosten Anrufen kosteten später 50 Milliliter "nur noch" 16,95 Euro.
Richard H. hat sich die Salbe in einer Apotheke anrühren lassen und berichtete in seinem (inzwischen gelöschten) Blog von seinem Test. Den brach er nach kurzer Zeit ab, weil sich seine Neurodermitis verschlechterte.
Das Medienmagazin "zapp" berichtete in seiner Sendung vom 28. Oktober 2009 über "Die unglaubliche Geschichte der Wundersalbe".
Was sagten Selbsthilfegruppen?
„Dieser ARD-Bericht ist barer Unsinn“, meinte Dr. Thomas Rosenbach, Sprecher des Wissenschaftlichen Beirats des Deutschen Psoriasis Bundes e.V. „Die Psoriasis ist wissenschaftlich unbestritten eine multigenetische chronische System-Erkrankung. Nach dem derzeitig weltweit verfügbaren medizinischen Wissen ist eine Psoriasis nicht heilbar." Der Verband schreibt in seiner Erklärung: "Es drängt sich der Verdacht auf, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen zu Marketingzwecken missbraucht wurde, da mit der Berichterstattung zeitnah ein Buch des Autors zum Thema erscheint und das Kosmetikum Anfang November in den deutschen Markt eingeführt wird."
Thomas Schwennesen, 1. Vorsitzender des Deutschen Neurodermitis Bundes e.V., meinte: "Es ist eine Schande und blanker Zynismus, dass die PR-Einführung eines normalen Hautpflege-Produktes sich der Pharmaschelte als Aufhänger für eigene Geschäfte bedient."
Die Psoriasis Selbsthilfe Arbeitsgemeinschaft e.V. "versteht die Kritik am ARD-Film „die story: Heilung unerwünscht“, teilt sie aber in wesentlichen Punkte nicht." Dem Autor des Films wäre es in erster Linie nicht um die Vitamin-B12-Creme, sondern um einen "typischen" Fall gegangen. Der Film wecke zwar falsche Hoffnungen, wenn immer wieder von Heilung gesprochen werde - dennoch sei dieser TV-Beitrag für viele Hautkranke wichtig gewesen. "Den Vorwurf, der Beitrag sei eine geschickte PR-Kampagne und unerlaubte Schleichwerbung, halten wir für falsch", schreibt der Verband. Vielmehr merke man, "dass der Autor mit viel Engagement und Herzblut einen Fall darstellt, den er selbst unerträglich findet".
Behörde kündigte Nachprüfung an
Laut einer Sprecherin der Bezirksregierung Düsseldorf sollte kurz vor der geplanten Markteinführung untersucht werden, ob Regividerm nicht doch als Arzneimittel eingestuft werden muss. Dabei geht es um den Wirkstoff Vitamin B12. Für den sollte geklärt werden, ob er so wirksam ist, dass Regividerm ein Medikament ist. Dann muss der Hersteller aufwändige Langzeitstudien vorlegen und sein Produkt beim Bundesinstitut für Arzneimittel genehmigen lassen. Außerdem hätte die Salbe nachträglich vom Markt genommen werden müssen.
Die Prüfung dauerte inklusive eingelegtem Widerspruch und dessen Abweisung bis zum Jahr 2017. Dann war klar: Die Creme ist als Arzneimittel zu behandeln.
Im Dezember 2019 gab es noch ein indirektes Nachtreten – in einem Prozess, in dem es eigentlich um etwas anderes ging: Ein Mitarbeiter der Firma Mavena in der Schweiz hatte dort gekündigt, weil er seiner Aussage nach deren falschen Angaben nicht länger mittragen konnte und wollte und vom Management aus der Ausübung seiner Arbeit gehindert worden wäre. Die Firma bestreitet das.
Die harten Fakten
Regividerm ist seit Mitte November 2009 in Apotheken erhältlich.
Name: Regividerm B12 Salbe bzw. inzwischen als Mavena B12 Salbe
Handelsgröße: 100 g
Offizieller Verbraucherendpreis: 28,85 €
Wichtige Links
- die Sendung in mehreren Teilen bei YouTube
- das Rezept zur Salbe
- Artikel in der Deutschen Apotheker Zeitung
- Informationen im Blog "Stationäre Aufnahme"
- Informationen im Blog & Wiki "Esowatch"
- Informationen im Blog "Principien"
- Verursacht Vitamin B12 Hautkrebs? Erklärung bei den ScienceBlogs
"Heilung unerwünscht", 19. Oktober 2009, 21 Uhr, ARD (45 Minuten)
Wiederholungen liefen in mehreren dritten Programmen, eine 15 Minuten längere Fassung einige Tage nach Erstausstrahlung in ARD extra.
Im Herbst 2009 erschienen eine DVD und ein Buch mit Hintergründen zur Creme und zur Sendung.
Quelle:
- "Vitamin B12 Cream Containing Avocado Oil in the Therapy of Plaque Psoriasis" in: "Dermatology", 2/2001
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