Nur selten sorgte eine Hautcreme für soviel Aufsehen und Zündstoff wie Regividerm – ein Medizinprodukt zur Linderung der Symptome von Psoriasis und Neurodermitis. Die einen empörten sich über die in dem Film dargestellten Machenschaften der Pharmaindustrie, die die Vermarktung des Mittels über 20 Jahre hinweg ablehnte. Andere vermuteten eine geschickte Public-Relations-Kampagne der Hersteller- oder Vertreiberfirma, die scheinbar zufällig just zum Zeitpunkt des ARD-Beitrags von einer baldigen Markteinführung kündete.
Kritiken an der dünnen Studienlage wurden laut. Widersprüche häufen sich.
Creme unter Krebsverdacht
In einem Kommentar zu unserem Beitrag „Regividerm - Ein Krimi um eine Creme“ berichtete ein Biochemiker über mögliche Krebsrisiken, wenn eine Substanz wie Vitamin B12 auf der Haut angewendet wird. Inzwischen gab der Kommentator Entwarnung. Der bittere Beigeschmack aber bleibt. Könnte das vermeintlich harmlose Medizinprodukt eventuell Spätfolgen nach sich ziehen?
Liest man die Rezeptur der umstrittenen Creme, erinnert die Zutatenliste eher an Bioladen als an Chemielabor: Vitamin B12, Avocadoöl, Wasser, die organischen Komponenten Stearat und Sorbat sowie Zitronensäure.
Zusammensetzung der Creme und Wirkweise der Bestandteile findest du am Ende dieses Beitrag.
Ausgerechnet das Vitamin wird jedoch mit der potenziellen Krebsgefahr in Verbindung gebracht. Der Kommentator mit dem Namen „Biochemiker48“ berichtete, dass er seit Jahrzehnten an so genannten Porphyrinen forsche, die in ihrer Struktur mit dem Wirkstoff Vitamin B12 vergleichbar seien. Seine Ausführungen machen deutlich: Auch Vitamine sind nur (chemische) Moleküle - und die neigen unter bestimmten Bedingungen zu chemischen Reaktionen.
Dass UV-Strahlung Krebs verursachen kann, ist bekannt. Verstärkt wird dieser Effekt, wenn zusätzlich phototoxische Substanzen ins Spiel kommen – also Stoffe, deren chemische Struktur durch Sonnenlicht so verändert wird, dass dadurch giftige Produkte entstehen. Porphyrine und eben auch porphyrinähnliche Substanzen wie das Vitamin B12, so "Biochemiker48", gehören dazu. Trifft das Sonnenlicht auf phototoxische Substanzen, geraten deren Elektronen in Wallung. Das heißt, die Mini-Teilchen rotieren plötzlich nicht mehr in gewohnten Bahnen um den Atomkern herum, sondern ändern ihre Richtung („Spin“). Dadurch wird das Molekül energetisch aufgeladen. Ist Sauerstoff anwesend, dient das Gas als idealer Reaktionspartner. Es bildet sich hochreaktiver Singulett-Sauerstoff, der wiederum seine überschüssige Energie an den Hautzellen ablässt.
Es kommt zu Schäden an Eiweißen, Zellorganellen und am Erbgut. Die Folgen könnten Zelltod und schlimmstenfalls Krebs sein.
Nebenwirkungen nicht gleich Krebsrisiko
Symptome, die auf eine potenzielle Phototoxizität einer Substanz hinweisen, gleichen zunächst einem Sonnenbrand: Rötungen, Brennen, Schwellungen oder Blasenbildung - Symptome, die auch bei Teilnehmern an den Anwendungsstudien zu Regividerm zu beobachten waren ("burning“ = brennen, „itching“ = jucken, „swelling" = Schwellung und "redness“ = Rötung). Deuten diese Nebenwirkungen aber tatsächlich darauf hin, dass die Creme Krebs verursachen kann?
So vehement unzählige Stimmen im Netz das Geschehen um Regividerm kommentierten, was Studien, Wirksamkeit oder die Umstände der Markteinführung betrifft, so wenig Fakten scheint es hinsichtlich dieser neuen Wendung zu geben. Tatsächlich waren bislang keine wissenschaftlichen Erkenntnisse über phototoxische Eigenschaften von Vitamin B12 auffindbar, die Studienlage zum Thema tendiert augenscheinlich gegen Null. Auf diverse Anfragen konnten mehrere Dermatologen - auch solche mit dem Spezialgebiet Photosensibilität - darüber keine Aussagen treffen.
Inzwischen zog auch "Biochemiker48" seine Bedenken bezüglich des Krebsverdachtes zurück („Vitamin B12 und Singulett-Sauerstoff: Entwarnung“): Er hatte erfahren, dass Vitamin B12 nur in geringem Maß zur Ausbildung von Singulett-Sauerstoff führe. Dennoch wies der Kommentator nochmals darauf hin, „dass in der zweiten klinischen Studie bei fünf von 45 Patienten die Behandlung mit Revigiderm wegen deutlicher Nebenwirkungen abgebrochen werden musste.“
Allerdings sind solche Studienabbrüche keine Seltenheit. Selbst bei Placebo-Produkten treten in Vergleichsstudien stets „unerwünschte Ereignisse“ auf, die die jeweiligen Anwender zum Abbruch verleiten. Genauso wie Gehirn und Glaube den „Zuckerpillen“ oftmals heilsame Wirkung verleiht, können sie in der Erwartung von Nebenwirkungen zu solchen führen. Außerdem könnten sich die Hilfsstoffe einer jeden Creme für Nebenwirkungen verantwortlich zeigen, indem sie allergische Reaktionen auslösen. Avocado beispielsweise wirkt - wie viele pflanzliche Produkte – bei einigen Menschen allergen. Vor der Anwendung sollte demnach stets ein Test mit ein wenig Salbe oder Öl in der Armbeuge durchgeführt werden. Treten nach 24 bis 48 Stunden keine Hautveränderungen ein, liegt höchstwahrscheinlich keine Allergie vor.
Auf Anfrage des Blog-Betreibers der Stationären Aufnahme sah auch Arzt und Apotheker Wolfgang Becker-Brüser vom arznei-telegramm keine zwingende Verbindung zwischen den beschriebenen Nebenwirkungen und Phototoxizität: „Solche Nebenwirkungen sind auffällig, können jedoch nicht als klinischer Beleg der Schädigungshypothese mit potenzieller Kanzerogenität gewertet werden.“, schrieb er.
Auch die Anwendung von Calcipotriol kann Nebenwirkungen mit sich bringen: Hautreizungen, Überempfindlichkeit der Haut gegen Sonnenlicht (Photosensibilität) oder Juckreiz, Hauttrockenheit, Brennen, Stechen oder Entzündungen. Doch treten Nebenwirkungen nicht bei allen Patienten auf - ein jeder reagiert unterschiedlich. Ausmaß und Dauer der Beschwerden entscheiden darüber, ob die Therapie weiter geführt werden kann oder nicht. Daher sind Nebenwirkungen kein Ausschlusskriterium für die Zulassung eines Arzneimittels – sofern der Nutzen das Risiko übertrifft.
Arzneimittel versus Medizinprodukt
Während Calcipotriol, dessen Wirkstoff ebenfalls ein Vitamin-Derivat ist, als Arzneimittel zugelassen ist, galt Regividerm sehr lang als Medizinprodukt. Unter den Begriff Medizinprodukte fallen in erster Linie technische Produkte oder Stoffe, die unterstützend bei Linderung oder Heilung von Krankheiten wirken sollen: von Rollstühlen über Kontaktlinsen zu Kondomen bis hin zu Herzkathetern. Medizinprodukte werden je nach Dauer der Verwendung, Grad der Invasivität und Gefahrenpotenzial in vier verschiedene Klassen eingeteilt. Regividerm läuft unter Klasse IIa (mittlere Gefahr).
Im Unterschied zu Arzneimitteln existieren für Medizinprodukte keine staatlichen Zulassungsvorschriften. Bestimmte Richtlinien geben Anforderungen an Sicherheit und Leistungen vor. Verantwortlich für deren Einhaltung ist der Hersteller. Die Prüfung fällt der jeweiligen Landesbehörde zu. Eine CE-Kennzeichnung von einer Prüf- und Zertifizierungsstelle dokumentiert schließlich die Übereinstimmungen mit den gesetzlichen Anforderungen. Insgesamt gelangt ein Medizinprodukt schneller auf den Markt als ein Arzneimittel - das Regelwerk gestaltet sich etwas flexibler.
Dass eine Creme wie Regividerm als Medizinprodukt vermarktet wurde, war lange Zeit eher die Ausnahme als die Regel. Denn laut Definition wird „die bestimmungsgemäße Hauptwirkung eines Medizinproduktes im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht“. Diese Definition würde auf die Creme wohl nur zutreffen, wenn Vitamin B12 keine pharmakologische Wirksamkeit aufweisen würde.
Bis zur Markteinführung wurde Regividerm an einer recht geringen Patientenzahl für relativ kurze Zeit getestet. In den viel kritisierten Studien ging es nicht darum, dass die Creme besser als die Vergleichssubstanz Calcipotriol wirken sollte, sondern darum, ob sie überhaupt eine vergleichbare Wirkung aufweist. Mehr Daten waren nicht notwendig - noch nicht: Inzwischen kündigte die Sprecherin der Bezirksregierung Düsseldorf eine Neuprüfung an, ob Regividerm nicht doch als Arzneimittel einzustufen sei. Sollte dies geschehen, wären weitere Studien zur pharmazeutischen Qualität, therapeutischen Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erforderlich. Bei einem möglichen Zulassungsverfahren würde sicherlich auch die phototoxische Potenz von Vitamin B12 genauer in Augenschein genommen, um sämtliche Zweifel aus der Welt zu schaffen.
Der Abspann des Krimis lässt noch ein wenig auf sich warten.
Zusammensetzung der Regividerm-Creme
- 0,070 Gramm Cyanocobalamin - Vitamin B12, Wirkstoff; Vitamin B12 gilt als Gegenspieler von NO (Stickoxid) bei nitrosativem Stress, der wiederum als eine der Ursachen für die Symptomatik von Schuppenflechte und Neurodermitis gehandelt wird
- 46,000 Gramm Avocadoöl refined - Avocadoöl, pflegende Fettkomponente bei unzähligen Hautcremes der Naturkosmetik. Avocadoöl wird nicht ranzig und wirkt z.B. laut Professor Oliver Reiser als natürlicher Lichtschutzfilter (das entsprechende Dokument ist leider nicht mehr im Internet verfügbar), da es die Strahlen – wenn auch nur in geringem Maße – absorbieren kann.
- 45,420 Gramm Water purified - gereinigtes Wasser zur Herstellung einer Öl-Wasser Emulsion mit dem Avokadoöl.
- 8,000 Gramm Methylglucose Stearat - (wahrscheinlich) Konsistenzgeber der Creme.
- 0,260 Gramm Potassium Sorbate - Kaliumsorbat, Kaliumsalz der Sorbinsäure; als Konservierungsmittel für Lebensmittel zugelassen, entspricht den Kriterien des BDIH (Bundesverband Deutscher Industrie- und Handelsunternehmen für Arzneimittel, Reformwaren, Nahrungsergänzungsmittel und Körperpflegemittel e.V.)
- 0,250 Gramm Citric Acid Monohydrat - Zitronensäure; zur pH-Wert-Regulation.
Quelle (vorwiegend): http://www.naturalbeauty.de
Studienlage
2001 veröffentlichte Markus Stücker von der Ruhr Universität Bochum seine Ergebnisse an 13 Patienten mit Psoriasis. Es handelte sich um einen zwölfwöchigen Vergleich von Regividerm mit Calcipotriol. Jeder Teilnehmer cremte eine Seite des Körpers mit Regividerm, die andere mit Calcipotriol als Vergleichssubstanz ein. Das Ergebnis: Calcipotriol wirkte schneller und besser, Regividerm wurde eine bessere Verträglichkeit bescheinigt. Vier Patienten mussten die Calcipotriol-Dosis aufgrund von Hautirritationen reduzieren, im Vergleich dazu litt ein Patient unter Juckreiz auf der mit Regividerm behandelten Körperseite. Finanziert wurde die Studie vom Regividerm-Hersteller Regeneratio Pharma.
2004 veröffentlichte Stücker die Ergebnisse von 49 Patienten mit Neurodermits (atopischem Ekzem). 27 Patienten bescheinigten der Creme eine gute, 17 eine mittlere Wirksamkeit gegenüber Plazebo. ( British Journal of Dermatology, Band 150, Seiten 977-983, 2004). Fünf Patienten brachen die Regividerm Behandlung wegen starker Nebenwirkungen ab.
Dr. Ronald Januchowski aus South Carolina schrieb von einer doppelblinden Untersuchung mit 21 Neurodermits-erkrankten Kindern und Jugendlichen (Journal of Alternative and Complementary Medicine 15, 2009): Die Beschwerden sollen sich nach vier Wochen signifikant stärker gebessert haben als mit Placebo.
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