Vor allem Psoriasis-Patienten haben weniger Körperkontakt
Abgrenzung und Austausch sind die Hauptaufgaben der menschlichen Haut. Das gilt physiologisch, aber auch sozio-psychologisch: Die Haut ist ein wichtiges Organ zur Kommunikation des Menschen mit seiner Umwelt. Im erotischen Vorspiel initiiert sie den sexuellen Kontakt und trägt durch Berührung und Betrachtung dazu bei, das sexuelle Verlangen anzuregen und aufrechtzuerhalten. Dass bei Hautkranken auch diese sexuelle Funktion der Haut gestört sein kann, wird aber bisher kaum berücksichtigt. Dr. Volker Niemeier und Professor Uwe Gieler beschäftigen sich in der psychosomatischen Hautsprechstunde der Uniklinik Gießen immer wieder mit diesem Phänomen.
In unserer psychosomatischen Sprechstunde stellen wir fest, dass nur ein kleiner Bruchteil der chronisch Hautkranken von ihren behandelnden Ärzten auf ihre Sexualität angesprochen wird, so dass Störungen in diesem Bereich und sekundäre Krankheitsfolgen nicht erkannt werden können. Dies liegt sicher auch daran, dass zeitintensive Gespräche, wie sie für dieses Thema nötig sind, in einer kassenärztlichen Praxis kaum angemessen honoriert werden.
Trotz der auch zwischenmenschlichen Problematik, diesen intimen Bereich anzusprechen, sollte der Dermatologe jedoch ein kompetenter Ansprechpartner sein, wenn die Hautkrankheit sich auf das Sexualleben des Patienten auswirkt. Oft lässt sich nach vielen Einzelkontakten ein Vertrauensverhältnis herstellen, und der Betroffene kann bei entsprechender Indikation zu einer weiterrührenden psychosomatischen Therapie motiviert werden.
Allerdings gibt es auch kaum Studien über die Auswirkung von chronischen Hauterkrankungen auf die Sexualität, an denen sich der Arzt orientieren könnte. Gewöhnlich wird nur bei Geschlechtskrankheiten oder direktem Befall der Geschlechtsorgane dem sexuellen Aspekt der Haut Beachtung geschenkt. Und auch dann konzentriert sich das Interesse vornehmlich auf die Hautläsion oder den Infektionsweg und weniger auf das Sexualleben.
In einer Studie haben wir unser Augenmerk auf diese oft vernachlässigten Aspekte gerichtet. Dabei haben wir Patienten mit Psoriasis vulgaris und Neurodermitis ausgewählt, da beide Erkrankungen sehr häufig und durch eine oft generalisierte und entstellende Symptomatik charakterisiert sind.
Streicheln entfällt bei Schuppenflechte
Wir haben 53 Patienten mit Psoriasis, 24 Neurodermitiker und 52 hautgesunde Personen zu ihrem Sexualleben befragt: Es zeigte sich, dass die Hautkranken in ihrer Sexualität deutlich beeinträchtigt sind. Der Austausch von Zärtlichkeiten ist bei beiden Geschlechtern gleich, die Orgasmusfähigkeit bei Frauen hochsignifikant reduziert. Psoriatiker fühlen sich im Vergleich zu Patienten mit Neurodermitis stärker beeinträchtigt. Die Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs ist aber bei Hautkranken offenbar nicht reduziert.
Nur fünf der befragten Psoriasis-Patienten und ein einziger Neurodermitiker waren zuvor von ihrem behandelnden Arzt auf ihr Sexualleben angesprochen worden.
Wer meidet eigentlich den Hautkontakt?
Frühere Untersuchungen haben bereits gezeigt, wie wichtig das Gefühl, körperlich attraktiv zu sein, für den Austausch von Körperkontakten ist: Wer sich als körperlich attraktiv einschätzt, empfängt mehr körperliche Zuwendung als jemand, der sich für normal oder weniger attraktiv hält.
Unsere Untersuchungsmethode erlaubt jedoch keine Aussage darüber, ob die Betroffenen Körperkontakt unbewusst mit der Hauterkrankung abwehren oder ob der Partner die zärtliche Berührung der erkrankten Haut meidet. Die Ursache dafür, dass die untersuchten Psoriatiker im Vergleich zu Neurodermitis-Patienten ein größeres Zärtlichkeitsdefizit zeigen, ist sicherlich in der entstellenderen Symptomatik der Schuppenflechte zu suchen. Patienten mit Neurodermitis haben gegenüber Psoriatikern zwar einen höheren Leidensdruck und eine stärkere emotionale Belastung, aber letztere fühlen sich wesentlich stärker stigmatisiert.
Sex womöglich als reine Pflichterfüllung?
Auffallend ist, dass sich bezüglich der Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs Hautkranke nicht von Hautgesunden unterscheiden. Offensichtlich kommt es auf der Ebene der reinen Triebbefriedigung nur zu geringen Einschränkungen, denn auch hinsichtlich des Alters beim ersten Geschlechtsverkehr zeigten die drei Gruppen keinen Unterschied. Und drei von vier Hautkranken verneinen, dass sie seit dem Ausbruch der Krankheit seltener Geschlechtsverkehr hätten.
Womöglich versuchen Hautkranke ihr Defizit an Zärtlichkeiten genitalsexuell zu befriedigen. Wünsche nach Berührung und Zärtlichkeit können zugleich als bedrohlich, die eigenen Grenzen gefährdend erlebt werden und werden daher möglicherweise sexualisiert. Wie der Geschlechtsverkehr erlebt wird, ob er gewollt ist oder als „Pflichterfüllung" empfunden wird, können die Fragebögen nicht beantworten.
Hautkrank aus Angst vor zu viel Nähe?
In analytisch orientierten Psychotherapien ergeben sich häufig Hinweise, daß Hauterkrankungen unbewußt zur Regelung von Nähe und Distanz eingesetzt werden - gewissermaßen in der Umkehrung der oben beschriebenen Kausalität. Ein Fall aus unserer Sprechstunde mag dies verdeutlichen:
Herr S. ist 23 und leidet seit drei Jahren unter einer Psoriasis vulgaris. Er wird wegen eines akuten Krankheitsschubes stationär aufgenommen. In der Anamnese zeigt sich folgende Situation: Der vor mehr als zehn Jahren verstorbene Vater litt ebenfalls an einer Psoriasis. Dessen frühen Tod kann Herr S. noch immer nicht begreifen. Er berichtet, dass er seinem Vater sehr ählich sei, dessen aurbrausendes Temperament geerbt. Bei Streitigkeiten zwischen den Eltern habe er immer auf der Seite des Vaters gestanden.
Herr S. bleibt immer auf Distanz
Seine Mutter charakterisiert er als ruhig und zurückhaltend. Er hat ein distanziertes und ablehnendes Verhältnis zu ihr. Persönliche Gespräche seien nicht möglich, da sie auf seine Probleme nicht eingehe. Bis zu ihrem Tod hat die Großmutter mit in der Familie gewohnt. Sie hat ihn als Kind tagsüber betreut. Trotzdem habe sich auch ihr gegenüber nie ein Vertrauensverhältnis entwickelt.
Mit 17 Jahren lernt Herr S. seine Freundin kennen und verlobt sich kurz darauf. Nach zwei Jahren ziehen die beiden zusammen. Zu diesem Zeitpunkt bricht auch erstmals die Psoriasis aus. Daraufhin beginnt Herr S., sich zurückzuziehen, meidet öffentliche Schwimmbäder und Kneipen. Auf die Beziehung zur Verlobten und sein Sexualleben habe die Psoriasis keine Auswirkungen gehabt, erklärt er im Gespräch.
Doch im Laufe der Zeit kommt es immer häufiger zu Streitigkeiten, auch, weil sie sich oft Dinge kauft, die er für überflüssig befindet. In solchen Momenten hätte er „vor Wut platzen können", sagt er.
Nachdem sie früher fast täglich miteinander geschlafen hätten, sei es allmählich immer seltener dazu gekommen. Irgendwann habe man sich nichts mehr zu sagen gehabt. Vor sechs Monaten trennte sich seine Verlobte von ihm, zur gleichen Zeit kam es zu einem schweren Psoriasisschub, der zum jetzigen stationären Aufenthalt führte. Die Trennung mache ihn immer noch so maßlos traurig, daß er häufig weine. Mittlerweile wohne er wieder bei der Mutter.
Eine psychische Komponente, die für den Interviewer evident ist, lehnt der Patient hinsichtlich der Psoriasis ab.
Auch im Gespräch bleibt Herr S. distanziert. Das Interview beschränkt sich auf ein Frage-Antwort-Spiel, ohne dass es gelingt, dass Vertrauen des Patienten zu gewinnen. Offensichtlich war der Vater der einzige Mensch, dem er je vertrauen konnte. Die Beziehung zu seiner Verlobten wird in dem Moment konflikthaft, als beide in eine gemeinsame Wohnung ziehen. In dieser Zeit erkrankt er das erste Mal an einer Psoriasis.
Es drängt sich der Eindruck auf, daß die Hautkrankheit die Funktion eines Schutzschildes hat, zur Abwehr einer gleichzeitig ersehnten und doch gefurchteren Nähe zur Verlobten. Der Patient zieht sich zurück, meidet soziale Kontakte, möglicherweise in der Hoffnung, die Frau an die Wohnung binden und in Symbiose mit ihr leben zu können. Statt dessen geht die Verlobte immer häufiger ohne ihn aus, kauft sich "überflüssige" Dinge. Der Patient scheint dies als Untreue zu erleben, erneut fühlt er sich von einer Frau enttäuscht, allein gelassen, es kommt zur Trennung.
Psoriasis als Folge der psychischen Störung
Herr S. beschreibt seine Sexualität als von der Hauterkrankung nicht beeinflußt. Auch nach dem Auftreten der Psoriasis habe er ein lustvolles Sexualleben gehabt. Erst als Folge der Beziehungsstörung sei auch das Sexualleben verarmt.
Die Hauterkrankung hat in diesem Fall offensichtlich keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Sexualität, sondern die genetisch disponierte Erkrankung ist Ausdruck einer Beziehungsstörung, die in der Folge auch zur Störung der Sexualität führt.
Bei dem Patienten handelt es sich um eine depressiv-phobische Charakterstruktur. Die mißtrauisch-hoffnungslose Grundstimmung weist auf fehlendes Urvertrauen hin. Wünsche nach Verschmelzung werden abgewehrt und über das Symptom Hautkrankheit ausgetragen.
Dr. Volker Niemeier, Zentrum für Dermatologie und Andrologie der Justus-Liebig-Universität Gießen, Gaffkystr. 14, 35385 Giessen; Co-Autor: Prof. Dr. U. Gieler, Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Justus-Liebig-Universität Gießen
Aus: "Ärztliche Praxis Dermatologie", Heft 1-2/1999
Tipps zum Weiterlesen
Erektile Dysfunktion häufig bei Psoriasis
(Ärzte Zeitung, 17.02.2011)
Männer, die an Psoriasis leiden, haben häufiger Erektionsstörungen als jene mit anderen Hauterkrankungen. Das hat eine prospektive Beobachtungsstudie verdeutlicht.
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