Seit 1. Juli 2019 ist es für Patienten und Apotheker deutlich aufwendiger geworden, ein Kassen-Rezept einzulösen. Die Apothekerinnen benötigen mehr Zeit, um das richtige Präparat auszuwählen. Deshalb müssen die Patienten länger warten. Häufiger als früher müssen sie sogar noch einmal wiederkommen. Denn das Medikament muss erst bestellt werden. Trotz aktualisierter Apotheken-Software ist zu befürchten, dass sich das nicht so schnell ändern wird. Schuld daran ist ein Vertrag zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und dem Apothekerverband. Dessen komplizierte Regelungen verlangen eine umfangreiche Prüfung. Die geht eindeutig zulasten der Patienten. Um Zeit zu sparen, sollte man sein Rezept vorher per Telefon, Fax oder Online-Formular seiner Haus-Apotheke durchgeben. Die neuen Vorschriften könnten aber auch dazu führen, dass Patienten ihre Rezepte verstärkt bei Versand-Apotheken einlösen. Im Internet gibt es keine Wartezeiten.
Patientin wartet, Apotheker grübeln
Sicherlich wird es seit Anfang Juli 2019 in vielen Apotheken ähnlich ablaufen: Eine Patientin gibt ihre Verschreibung ab. Die Apothekerin schaut in den Computer und nach einer Weile bittet sie zwei Kolleginnen hinzu. Zu Dritt stehen sie und diskutieren. Dann schließlich erfährt die Patientin, dass das ausgewählte Präparat nicht am Lager ist. Es müsse erst bestellt werden. Gleichartiges habe man zwar da, dürfe es ihr aber nicht geben. „Das ist eine Katastrophe für Patienten und Apotheker“, meint Katrine Martens von der Berliner Oran-Apotheke. Weshalb ist es in vielen Fällen komplizierter geworden, Kassenpatienten das „richtige“ Medikament auszuhändigen? Bei Privatpatienten bzw. Privat-Rezepten geht es nach wie vor einfacher.
Krankenkassen wollen sparen
Geregelt wird dieses komplizierte Verfahren im Rahmenvertrag für die Arzneimittelversorgung vom 01.01.2019. Ziel ist es, die Ausgaben der Krankenkassen niedrig zu halten. Ein von den Kassen zu erstattendes Arzneimittel darf erst dann abgegeben werden, wenn alle im Vertrag geregelten Voraussetzungen geprüft wurden („Abgabe-Rangfolge“).
Bevor die Patientin ihr Medikament erhält, muss die Apothekerin in mehreren Schritten abfragen, was sie am Ende tatsächlich abgeben darf. Diese Prüfung muss sie dokumentieren, um ihre Auswahl gegenüber der Krankenkasse begründen zu können. Gegenüber vorher müssen jetzt mehr Dinge berücksichtigt werden. Und es können, vor allem in der Anfangsphase, mehr Fehler gemacht werden. Deshalb dauert es länger, bis man sein Medikament bekommt.
10 Schritte bis zur Medikamenten-Ausgabe
- Wird auf dem Rezept das Produkt eines Herstellers (Handelsname) genannt?
Dann gilt folgendes:
- Ist das Feld „aut idem“ markiert (z. B. durch Kreuz, Kringel, Haken, Strich)?
Oder steht das Arzneimittel auf der Substitutions-Ausschlussliste, wie z.B. Ciclosporin?
Dann darf nur das verschriebene Marken-Präparat abgegeben werden. Gibt es das als preisgünstigen Import? Dann würde man das auswählen.
Wenn nein, gilt folgendes:
- Gibt es für das Arzneimittel einen Rabattvertrag der Kasse der Patientin? Wenn ja, darf nur zwischen gleichartigen Rabatt-Präparaten dieser Krankenkasse gewählt werden.
Wenn nein, gilt folgendes:
- Welches sind die vier günstigsten Angebote am Markt? Nur davon darf eines für die Patientin ausgewählt werden.
„Haben wir etwas übersehen und irren uns nur um 2 Cent“, so Apothekerin Martens, „bekommen wir das gesamte Rezept nicht erstattet“.
- Ist das auf dem Rezept genannte Präparat unter den vier günstigsten zu finden? Dann bildet dessen Preis die Obergrenze („Preis-Anker“). Es darf kein noch so geringfügig teueres abgegeben werden. Selbst wenn die Apotheke die anderen drei vorrätig hat.
- Diese Preisobergrenze gibt es nicht, wenn anstatt eines Medikamenten-Namens lediglich ein Wirkstoff verschrieben wurde. Patienten sollten darauf achten, dass auf dem Rezept möglichst ein Wirkstoff und kein Handelsname steht.
- Ausnahme Liefer-Engpass: Wenn alle vier ausgewählten Niedrigpreis-Produkte nicht lieferbar sind, darf das billigste lieferbare abgegeben werden.
- Ausnahme Akutversorgung, d.h. die Patientin muss sofort mit dem Medikament behandelt werden: Dann darf die Apothekerin das billigste abgeben, das sie am Lager hat. Das gilt auch im Notdienst.
- Ausnahme pharmazeutische Bedenken, d.h. die Patientin verträgt die vier ausgesuchten Präparate nicht. Zum Beispiel wegen Allergien oder Wechselwirkungen. Dann werden unter den Medikamenten, die bedenkenlos abgegeben werden können, die vier preiswertesten ausgesucht.
- Die Ausnahmefälle dürfen nicht teurer sein, als das Medikament, das auf dem Rezept steht. Es sei denn, der Arzt willigt ein.
Importquote ist einzuhalten
Hinzu kommt, dass die Apotheken eine Importquote erfüllen müssen. Das bedeutet, vom gesamten Umsatz müssen pro Kasse und pro Quartal 5 % der Verschreibungen Import-Medikamente sei. Wenn die Apotheke diese Quote nicht erfüllt, wird ihr von den Kassen Geld abgezogen (Malus). Erfüllt sie jedoch die Importquote, erhält sie einen Bonus.
Diese Importförderung ist politisch heftig umstritten. Mit Rabattverträgen würde schon jetzt deutlich mehr Geld eingespart, als durch Importe. Vor allem wird befürchtet, dass damit Kriminelle angelockt werden. In der Vergangenheit wurden gefälschte oder im Ausland gestohlene Arzneimittel in Umlauf gebracht. Das soll inzwischen durch einen Sicherheitscode auf jeder Verpackung verhindert werden. Kritisiert wird aber auch der massive Lobby-Einfluss des größten Medikamenten-Importeurs in Deutschland.
Statt größerer Verpackung höhere Zuzahlungen
Neu geregelt ist außerdem, wie mit reinen Mengenangaben und unklaren Verpackungsgrößen auf dem Rezept umgegangen werden soll. Im Zweifelsfall wird immer die kleinste Verpackung abgegeben.
Patienten wird es vor allem ärgern, dass die Apotheken zukünftig nicht eine größere Verpackung (z.B. 150 Stück) ausgeben dürfen, wenn mehrere kleinere (z.B. 3 x 50) verschrieben wurden. Sie zahlen dann statt 10 Euro insgesamt 30 Euro hinzu.
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