Die Selbsthilfegemeinschaft Haut e.V. (SHG Haut) hat sich nach zehn Jahren Arbeit aufgelöst. Damit ist der zweite Versuch gescheitert, neben dem alteingesessenen Deutschen Psoriasis Bund eine weitere Patientenorganisation zu etablieren. Schon 2013 gab der Verein Psoriasis & Haut auf, wenn auch aus anderen Gründen.
Anfang März 2019 wurde bekannt, dass sich die Selbsthilfegemeinschaft Haut aufgelöst hat. Begründet wurde das damit, dass man an seine Grenze gestoßen sei, weiterhin ehrenamtlich und unentgeltlich zu arbeiten. Außerdem würden immer weniger Betroffene „aktiv in der Selbsthilfe tätig werden". Die wachsenden Aufgaben seien so nicht mehr zu leisten.
Parallel wurde die Stiftung "Bundesvereinigung Haut" (BV Haut) aufgelöst, die von den gleichen Akteuren gegründet wurde.
Arbeit für alle Hautkranken
Die SHG Haut entstand aus der ehemaligen Regionalgruppe Leichlingen des aufgelösten Verbandes Psoriasis & Haut. Dessen Ansatz wurde übernommen, nicht nur Psoriasis-Betroffene zu organisieren, sondern alle Hautkranken. Regelmäßig gab es in Leichlingen Gemeinschaftsabende. Es gab Vorträge (Seminare) und Veranstaltungen in Kliniken.
Die SHG Haut trat bei den unterschiedlichsten Ereignissen auf – zum Beispiel bei einer Veranstaltung vom „Handelsblatt“ oder bei einem Halbmarathon. In zwei Kliniken wurden Sprechstunden für Betroffene angeboten.
Schuppenflechte sollte eigentlich nur eine der Haut-Krankheiten sein, mit denen man sich beschäftigte. Trotzdem fanden die großen Veranstaltungen stets anlässlich des so genannten „Welt-Psoriasis-Tages“ statt.
Seit 2012 veranstaltete die Gruppe einmal im Jahr ganztägige Symposien für Hautkranke. Herausragend waren vor allem die in Neuss (2016), im Literaturhaus in München (2017) und in der Laeiszhalle in Hamburg (2018). Für die Hamburger Veranstaltung ist sogar der "Michel" erleuchtet worden (Bild links).
Bei den Symposien traten prominente Dermatologen auf, aber auch Politiker, die sich für Patienteninteressen aussprachen. 2016 kam sogar der damalige Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe zur Veranstaltung nach Neuss – in seinen Wahlkreis.
Internetauftritt, Aktionen und Symposien waren werbewirksam gestaltet und wurden professionell durchgeführt. Es gab Hochglanz-Broschüren zu einzelnen Veranstaltungen und zum Verein selbst („Wirkungsbericht“). Dabei legte man Wert auf „Schirmherren“ oder „Grußworte“ von prominenten Politikern und Dermatologen. Der Verein arbeitete mit einer PR-Agentur zusammen.
Der Weg in die Politik
Die SHG Haut verstand sich als Interessenvertretung, die die „Versorgung der Hautkranken“ verbessern wollte. Deshalb wurden systematisch Kontakte aufgebaut zu prominenten Hautärzten (vor allem zu deren Berufsverband BVDD und zum CVderm), zu Gesundheitspolitikern und zu Patientenbetreuern der Pharmafirmen. Dazu gehörten auch Verbindungen ins Gesundheitsministerium.
2015 war der Verein auf dem Treffen der International Alliance of Dermatology Patient Organizations in Kanada vertreten. Die IADPO wird von Pharmafirmen finanziert, hauptsächlich von der Firma Leo Pharma. Das war damals auch einer der Sponsoren des Vereins aus der Pharma-Industrie – neben Janssen-Cilag.
Im Laufe der Zeit vereinbarte die SHG Haut Kooperationen mit den unterschiedlichsten Einrichtungen – von der Klinik bis zur Kanzlei. Kontakte und Auftritte wurden mit Fotos auf der Website ausführlich dokumentiert.
Lobbyist der Hautkranken
Weil man sich als Lobbyist der Hautkranken verstand, wurden alle Chancen wahrgenommen, sich in Medien zu äußern und auf sich aufmerksam zu machen, zum Beispiel in „100 Prozent Haut“, einer werbefinanzierten Beilage der Tageszeitung „DIE WELT“.
Die SHG Haut beteiligte sich zeitweise an der Kampagne „Bitte berühren“ und am Projekt „Entstigmatsierung von Menschen mit sichtbaren Hautkrankheiten“.
Bis zum Frühjahr 20017 zumindest erfuhr die Öffentlichkeit zwar auf der Internetseite des Vereins, wer seine "Partner" waren, nicht aber, wie viel Geld man von ihnen erhielt. Der Verein verstand es, sehr unterschiedliche Geldquellen zu erschließen. Wenn man wissen will, um welche Größenordnung es sich handelt, schaut man in die Transparenzlisten einzelner Pharmafirmen. Dort findet man für die SHG Haut Zahlungen für Fördermitgliedschaften mit selten weniger als 3000 Euro pro Firma, Veranstaltungen, Reisekosten und ein Vortragshonorar. 2017 waren das mindestens 36.500 Euro. Hinzu kamen die Selbsthilfeförderung durch Krankenkassen und Mitgliedsbeiträge.
Unsere Meinung
Bei aller Kritik und allen Unterschieden im Verständnis von Selbsthilfe: Wir bedauern das abrupte Ende dieser engagierten Initiative. Wir sind überzeugt, dass die SHG Haut vielen Patienten mit ihren Angeboten geholfen hat.
Dem Verein ist es zu verdanken, dass unterschiedliche Psoriasis-Verbände an einzelnen Punkten vertrauens- und respektvoll zusammengearbeitet haben. Es wäre zudem wichtig gewesen, dem Deutschen Psoriasis Bund (DPB) dauerhaft etwas entgegenzusetzen – in der Gesundheitspolitik wie im Verhältnis zur Pharmaindustrie. Die charismatische Frontfrau der SHG Haut, Christine Schüller, wäre dazu in der Lage gewesen.
Sie und ihre Mitstreiter wollten als Patienten-Vertreter ernst genommen werden. Bei Veranstaltungen lehnte sie schon mal eine Krankenkasse als Geldgeber ab, wenn die dafür ein Grußwort verlangte. Wegen dieser Einstellung kündigte sie, gemeinsam mit dem Psoriasis-Netz, die Mitarbeit beim Projekt „Bitte berühren“: Sie hatte den Eindruck, dass die Vertreter der Patienten nicht wirklich gleichberechtigte Partner waren.
Pläne für eine Stiftung für Hautkranke
Die regional aktive SHG Haut hatte große Pläne: Sie wollte Interessenverband für alle Hautkranken werden – bundesweit und mit eigener Stiftung. Dafür benötigt man Personal und Geld. Das hätte klappen können, wenn man den letzten Schritt zur Professionalisierung gemacht hätte – mit Geschäftsstelle und Angestellten. Verwunderlich, dass es dazu nie kam. Schließlich trat der Verein nach außen sehr professionell auf, auch mit Hilfe einer Marketing-Agentur.
Seit Jahren wird in der Selbsthilfe darüber heftig diskutiert ob und wie man Geld von Pharmafirmen nimmt. Sozialwissenschaftler haben nachgewiesen, dass das immer ein „Geben und Nehmen“ ist. Oft läuft es unbewusst oder sogar unerkannt ab – auch bei Patientenorganisationen, die sich völlig unabhängig fühlten. Interessenkonflikte sollten nicht nur offen und transparent diskutiert werden. Es muss auch jedem bewusst werden, weshalb hochprofessionalisierte Firmen so viel Geld in Patientenvereinigungen investieren.
Selbsthilfe als politische Lobbyisten?
Nicht ganz so heftig wird diskutiert, ob Patienten-Selbsthilfe auch politischer Lobbyismus sein sollte. Wer versucht, Öffentlichkeit und Politik gerade für seine Krankheit zu interessieren, benachteiligt diejenigen, die nicht die Mittel dafür haben.
Es ist erwiesen, dass Pharmafirmen diejenigen Patientengruppen am meisten unterstützen, für deren Krankheit es teure Medikamente gibt. Seit 2004 gehört es zur globalen Strategie von Pharmafirmen, Aktionen zum „Welt-Psoriasis-Tag“, internationale Hautpatienten-Organisationen und deren Treffen großzügig zu sponsern. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Aktive lassen sich immer schwieriger motivieren
Es ist dem Verein nach eigenen Worten nicht gelungen, mehr Aktive zu motivieren. Er schien von der fast unerschöpflichen Energie, den Ideen, dem Organisationstalent und der Kontaktfreudigkeit seiner 1. Vorsitzenden zu leben. Als sie nicht mehr weitermachen wollte oder konnte, bedeutete das offensichtlich auch das Ende des Vereins.
Auch das Symposium in Hamburg 2018 könnte das Ende der SHG Haut eingeläutet haben: Kurzfristig hatten zwei prominente Dermatologen ihre Teilnahme abgesagt. Stattdessen boten diese einige Tage vorher eine eigene Patientenveranstaltung zur Psoriasis an, zusammen mit dem DPB. Dafür gab es Anzeigen in Hamburger Tageszeitungen. Beim Symposium aber war der DPB ebenfalls Mitveranstalter. Zwei Psoriasis-Veranstaltungen innerhalb von vier Tagen sind selbst in Hamburg zu viel. Deshalb war das Symposium extrem schlecht besucht.
Konstruktive Zusammenarbeit
Vielleicht haben sich die Aktiven der SHG Haut von bisherigen Unterstützern verlassen gefühlt. Möglicherweise befürchteten sie, ohne diese Unterstützung langfristig als Lobby-Verein für Hautpatienten nur noch geringen Einfluss zu haben.
Schade! Gerade in letzter Zeit hatten wir begonnen, konstruktiv zusammenzuarbeiten. Christine Schüller hat es durch ihre Beharrlichkeit und Diplomatie geschafft, sehr unterschiedliche Akteure mit teilweise gegensätzlichen Ansichten zusammen zu bringen.
Ihr Ansporn wird fehlen – nicht nur uns!
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