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    Studie: Pharmaindustrie manipuliert Selbsthilfegruppen

    Krankenkassen wollten wissen, ob Pharmafirmen die Arbeit von Selbsthilfegruppen beeinflussen. Dafür gaben sie eine Studie in Auftrag. In einem ersten Bericht wurden Ergebnisse auch im Bereich der Selbsthilfegruppen für Psoriatiker vorgestellt.

    Die "Selbsthilfe-Fördergemeinschaft der Ersatz-Krankenkassen" hat in 2006 wissenschaftlich untersuchen lassen, ob und wie Pharmafirmen bundesweit tätige Patienten-Vereinigungen beeinflussen. Beispielhaft wurden fünf Krankheiten ausgesucht, für die in letzter Zeit neue und sehr teure Medikamente zugelassen wurden. Darunter war auch die Psoriasis, die seit einiger Zeit mit Biologika behandelt werden darf. Deshalb wurden auch die beiden größten Patientenorganisationen für Schuppenflechte durchleuchtet - der Deutsche Psoriasis Bund (DPB) und die Psoriasis Selbsthilfe Arbeitsgemeinschaft (PSOAG).

    Auf einer Pressekonferenz am 29. November 2006 wurden die ersten Ergebnisse in einem "Werkstattbericht" vorgestellt. Von den beiden untersuchten Psoriasis-Verbänden fiel der DPB negativ auf. Bei dieser Patientenorganisation fanden die Wissenschaftler alle Fakten erfüllt, die sie als direkte oder indirekte Einflussnahme der Pharmaindustrie bezeichnen würden.

    Auf der Pressekonferenz verwahrte sich Hans-Detlef Kunz, Geschäftsführer des DPB, gegen diese Aussage: "Der Deutsche Psoriasis Bund ist eine seriöse Organisation." Rolf Blaga, Vorstandsmitglied der PSOAG, verkündete, dass seine Organisation künftig erst einmal keine Gelder von der Pharmaindustrie annehmen werde. Man wolle sich deutlich abgrenzen, um nicht auch in den Verdacht zu geraten, Teil eines Netzwerks der Pharmaindustrie geworden zu sein.

    Untersuchungsergebnisse insgesamt

    Professor Gerd GlaeskeDr. Kirsten Schubert und Professor Gerd Glaeske vom Bremer Zentrum für Sozialpolitik wollen mit ihrer Studie die Diskussion zwischen Krankenkassen und Selbsthilfeorganisationen vorantreiben. Sie untersuchten den "Einfluss des pharmazeutisch-industriellen Komplexes auf die Selbsthilfe", so der Titel der Untersuchung.

    Die Wissenschaftler zeigen, dass ein Trend aus den USA auch nach Europa übergeschwappt ist: Einige Pharmakonzerne binden Selbsthilfevereinigungen systematisch in ihre Marketingstrategien ein. Die Arzneimittelkonzerne hätten erkannt, so Dr. Schubert, dass Patientenorganisationen großen Einfluss auf die Verschreibung und den Verkauf von Medikamenten haben können. In den USA würde ein Dollar für die Patientengruppen zu mehr als vier Dollar Umsatzsteigerung führen, ergänzte Professor Glaeske. Dagegen würden direkte Arztkontakte deutlich unter zwei Dollar bringen. Die Pharmaindustrie nutze die chronische Finanznot der Selbsthilfeorganisationen aus. Er forderte den Gesetzgeber auf, die Selbsthilfe finanziell so abzusichern, dass sie nicht auf Industriegelder angewiesen sei. Dr. Schubert warnte: "Die Informationen, die Patienten heutzutage von einigen Selbsthilfegruppen bekommen, sind längst nicht mehr frei von Wirtschaftsinteressen!".

    Die Bremer Wissenschaftler untersuchten in der Studie den Einfluss der Pharmaindustrie auf acht große Selbsthilfeverbände für Alzheimer, Neurodermitis, Osteoporose, Parkinson und Schuppenflechte.

    • In sechs Mitgliederzeitschriften (75,5 Prozent) war die Pharmaindustrie mit direkter Werbung vertreten.
    • In sieben Mitgliederzeitschriften (87,5 Prozent) fanden sich auch im redaktionellen Teil Publikationen über Pharmaprodukte.
    • Auf sechs Verbands-Internetseiten (75,5 Prozent) traten Pharmafirmen indirekt auf.
    • Auf vier der Verbands-Internetseiten (50 Prozent) gab es direkte Links zur Pharma-Industrie und zu medizintechnischen Anbietern.
    • In fünf Beiräten saßen Wissenschaftler, die nicht allein den Patienten verpflichtet waren, sondern zusätzlich Sponsoring-Verbindungen zur Industrie hatten. Das wurde in keinem Fall von den Beiräten den Vereinsmitgliedern gegenüber offen gelegt. Erst auf Nachfrage der Wissenschaftler wurden diese finanziellen Zusammenhänge angegeben.
    • Bei einem Viertel der Selbsthilfegruppen liegt die Finanzierung über Sponsoring bei knapp 20 Prozent (1).
    • Fünf Prozent der Gruppen und Organisationen erhalten die Hälfte ihres Budgets aus Sponsoringmitteln (1).

    Die Studie nennt weitere Beispiele, wodurch sich die Pharmaindustrie das Wohlverhalten von Selbsthilfeorganisationen sichert: Arzneimittelwerbung auf Selbsthilfeveranstaltungen oder Förderkreise, in denen Pharmafirmen hohe Mitgliedsbeiträge einzahlen. Als Beispiel wird dafür der Deutsche Psoriasis Bund genannt. Existiert keine Patientenvereinigung, gründen Firmen selbst eine. Die Studien nennt die Koalition Brustkrebs.

    Andere Pharmafirmen haben Selbsthilfe-Domains reserviert und auch benutzt, zum Beispiel www.selbsthilfe.de (BASF) oder www.leben-mit-ms.de.

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    Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente bei Patienten ist nach dem Heilmittelwerbe-Gesetz verboten. Mit den in der Studie beschriebenen Aktivitäten würden die Arzneimittel-Anbieter aber dieses Verbot umgehen, kritisierte Professor Glaeske. Sogar Arzneimittel, die noch nicht zugelassen sind, würden innerhalb der Selbsthilfe beworben. "Nur, wenn erkennbar ist, wer hinter einer Botschaft steckt, können die Patienten gezielt nach anbieterunabhängigen Informationen Ausschau halten", so Professor Glaeske. Er forderte die Selbsthilfegruppen auf, Transparenz innerhalb der eigenen Organisationen zu schaffen.

    "Die Arbeit der Selbsthilfegruppen und -organisationen wird immer professioneller. Das erfordert mehr Personal und kostet dadurch auch zunehmend mehr Geld", betonte Karin Niederbühl. Sie hatte im Auftrag der Ersatzkassen die Erstellung des Berichts betreut.

    Regionalgruppen haben meist keine Information über Pharma-Gelder

    In der Studie wird festgestellt, dass es die Geschäftsleitung der Selbsthilfeorganisationen ist, die darüber entscheidet, welche Pharmagelder angenommen und wofür sie verwendet werden. Die örtlichen Gruppenmitglieder sind darüber in den meisten Fällen nicht informiert. Es gebe allerdings auch Selbsthilfegruppen, die sich wegen der Beeinflussung durch die Industrie von größeren Verbänden abgespalten hätten.

    Ergebnisse im Bereich Psoriasis

    Untersucht wurden der "Deutsche Psoriasis Bund" (DPB) und die Psoriasis Selbsthilfe Arbeitsgemeinschaft" (PSOAG). Nicht untersucht wurden "Psoriasis & Haut " und die "Deutsche Rheuma-Liga" (für Psoriasis Arthritis).

    • Beim DPB gibt es direkte und indirekte Auftritte der Pharmaindustrie in der Mitgliederzeitschrift "PSO Magazin". "Direkter Auftritt" heißt direkte Werbung, "indirekter Auftritt" heißt, es gab Publikationen über Pharmaprodukte.
    • Die PSOAG hat keine Mitgliederzeitschrift.
    • Auf der DPB-Internetseite gab es indirekte Auftritte der Pharmaindustrie und Links zur Pharmaindustrie bzw. Medizintechnik.
    • Auf der PSOAG-Internetseite gibt es keine Hinweise auf Pharmafirmen.
    • Beim DPB existiert ein wissenschaftlicher Beirat. Die dort vertretenen Ärzte und Wissenschaftler bekommen im Rahmen ihres Berufes von der Pharmaindustrie Sponsoring-Gelder. Die wurden nicht erkennbar deklariert, sondern erst auf Nachfrage bestätigt. Die PSOAG hat keinen wissenschaftlichen Beirat.
    • Beide Organisationen haben eine Selbstverpflichtungserklärung abgegeben, in denen festgelegt wird, wie mit Wirtschaftsunternehmen umgegangen werden soll.
    • Der DPB hatte folgende Leitsätze: http://www.psoriasisbund.de/Leitsaetze_des_Deutschen.465.0.html (Link funktioniert nicht mehr)
    • Die Leitsätze der PSOAG waren abrufbar (die PSOAG gibt es inzwischen nicht mehr)

    Kritik an der Kritik

    Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) wies die Kritik zurück. BPI-Sprecher Wolfgang Straßmeir sagte, mit diesen pauschalen Vorwürfen werde den Patientenorganisationen Unmündigkeit und Unprofessionalität unterstellt.

    Hans-Detlef Kunz (DPB) erklärte auf der Pressekonferenz, für seinen Verband seien die Fakten falsch erhoben worden. So hätte es nie direkte Werbung für Pharmaprodukte in der "PSO-Magazin"-Ausgabe für Patienten gegeben, sondern nur in der für Ärzte. Die erwähnte Veranstaltung, auf der für Pharmaprodukte geworben wurde, sei eine wissenschaftliche Weiterbildung für Ärzte gewesen. Dr. Kirsten Schubert wies auf Nachfrage darauf hin, dass daran außerdem mehr als 40 DPB-Regionalgruppenleiter – also Patienten – teilgenommen hatten.

    Bei der Pressekonferenz waren auch Pharmavertreter anwesend. Einige erklärten, dass sie noch nie versucht hätten, inhaltliche Aussagen der Patientenvertreter zu beeinflussen. Im Gegenteil gebe es einen sachlichen Dialog und ein verständnisvolles Miteinander. Es sei "weltfremd", zu fordern, dass nur solche Ärzte in wissenschaftlichen Beiräten von Patienten-Organisationen mitmachen dürften, die keine Pharmagelder bekämen. Jeder anerkannte Experte arbeite heutzutage mit der Industrie zusammen.

    Lösungsvorschläge

    Aus Sicht der Sozialwissenschaftler sollte eine unabhängige Beratungs- und Kontrollstelle geschaffen werden. Nur so könne man unerwünschte Einflüsse auf die Selbsthilfe eindämmen. Eine solche Einrichtung sollte vom Staat und der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden. Zudem sollten alle Selbsthilfeorganisationen eine Selbstverpflichtung abgeben, um mehr Unabhängigkeit von Pharmaunternehmen zu erzielen.

    Der Vorstandsvorsitzende der Kaufmännischen Krankenkasse, Ingo Kailuweit, meinte, weiteres Sponsoring durch die Pharmaindustrie sei nicht notwendig. Die Krankenkassen würden künftig mehr Selbsthilfeförderung zahlen. Die Krankenkassen sind schon jetzt gesetzlich verpflichtet, Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeverbände finanziell zu fördern. Zukünftig würden dafür pro Mitglied und pro Jahr 55 Cent bereitstehen. Zuvor waren es nach Angaben von Kailuweit im Durchschnitt rund 25 Prozent weniger.

    Wer sind die Untersuchenden?

    Das Zentrum für Sozialpolitik (ZeS) ist ein Forschungsinstitut der Universität Bremen und wurde Ende 1988 nach eigenen Angaben als erstes interdisziplinäres Sozialpolitik-Institut in Deutschland gegründet. Es wird von der Universität und vom Land Bremen getragen.

    Professor Glaeske ist Mitglied des Sachverständigenrates der Bundesregierung zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen.

    Quellen:

    • Schilling, R. (2006): Die Entwicklung der Arbeits- und Fördersituation von Bundesvereinigungen der Selbsthilfe in Deutschland - ein zeitlicher Vergleich von Erhebungen der NAKOS zu den Jahren 1997, 2001, 2002 und 2004. In: Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e.V. (Hrsg.)
    • Selbsthilfegruppenjahrbuch 2006
    • Werkstattbericht zur Entwicklung und Förderung des internen Diskurses zwischen Krankenkassen und Selbsthilfegruppen "Einfluss des pharmazeutisch-industriellen Komplexes auf die Selbsthilfe", Dr. Kirsten Schubert, Professor Gerd Glaeske, Universität Bremen - Zentrum für Sozialpolitik
    • Berichte der Nachrichtenagenturen AP, dpa

    Mehr zum Thema

    Patient gesucht
    (Die Zeit, 14.12.2006)
    Pharmakonzerne entdecken Selbsthilfeorganisationen als lukrativen Vertriebsweg

    "Pharmamarketing: Wir sind doch kein Caritasverein"
    (gesundheitsblog.de, 30.11.2006)
    nicht mehr online

    Ist Selbsthilfe käuflich?
    (Blog "bedarfshaltestelle", 18.12.2006)
    nicht mehr online

    Patientenverbände und Pharmaindustrie
    (Blog "Stationäre Aufnahme")
    hier und hier


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    Hand: Reagan M. / Unsplash

    Professor Gerd Glaeske: privat

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