Wer krank ist, geht zum Doktor – denkt man. Aber es kursieren Zahlen, dass 40 Prozent der Menschen mit Psoriasis überhaupt nicht zum Arzt gehen. "Na und?" könnte man denken. "Ist doch gut, wenn es auch ohne geht."
Die Wirklichkeit sieht anders aus. In vielen Fällen haben diese Patienten ihr Vertrauen in die sogenannte Schulmedizin verloren. Sie haben die Suche nach einem "guten Arzt" aufgegeben. Trotzdem leiden sie meist weiterhin an ihrer Krankheit. Denn die geht schließlich nicht dadurch weg, dass man sie ignoriert.
Doch es leidet noch jemand mit: Partner, Eltern oder andere nahestehende Verwandte und Freunde. Hilflos sehen sie zu, wie sich der Psoriatiker quält, blutig kratzt und oft von anderen isoliert. Sie wollen so gerne helfen – aber geht das überhaupt?
Katjas Leben mit Thorstens Psoriasis
Katja (30) ist eine selbstbewusste Frau, die gerne bestimmt, wo es lang gehen soll. Deshalb passt Thorsten (33) ganz gut zu ihr. Er ist ein eher sanfter Mann, wurde liebevoll erzogen und von seinen Eltern gut behütet. Ihn stört es nicht, wenn Katja die Entscheidungen trifft. Seit sieben Jahren sind sie zusammen. Seitdem leben beide mit seiner Schuppenflechte.
Katja hat sich angewöhnt, Thorsten liebevoll zu ermahnen, wenn er sich zu auffällig kratzt. Weil sie ihn liebt, ignoriert sie meist seine Krankheit. Aber ihr und ihrer gesamten Familie kommt es trotzdem so vor, als würde er durch das Kratzen auch die Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen. So wird Thorsten angesprochen und bedauert.
Thorsten macht nichts gegen seine Krankheit. Er geht nicht zum Arzt, informiert sich nicht, ändert seine Ernährung nicht und will zu keiner Psychotherapie. Das Thema ist Tabu.
Jetzt aber hat sich seine Psoriasis deutlich verschlechtert. Er hat kaum noch eine freie Fläche auf dem Körper. Natürlich kratzt er sich deshalb noch mehr, so dass Katja nicht mehr weghören kann. Er ist psychisch schon völlig fertig.
Am schlimmsten ist es für Katja, Thorsten jammern zu hören. Er jault vor Schmerzen wie ein Welpe. Für sie ist es unerträglich, das miterleben zu müssen. Natürlich will sie ihn nicht leiden sehen. Sie spürt, dass sie nicht mehr genug Kraft hat, sondern durch die Situation selbst mit herunter gezogen wird. Mit ihren eigenen Problemen kann sie Thorsten jetzt überhaupt nicht kommen.
Was soll man ihr raten?
Natürlich ist es toll, wie Katja zu Thorsten steht. Viele andere hätten sich von der Psoriasis und dem ständigen Kratzen schon längst abgestoßen gefühlt und die Beziehung beendet. Aber hier steckt auch ihr gemeinsames Problem: Es ist unklar, wie oft Katja und andere Thorsten vergeblich dazu gedrängt haben, sich behandeln zu lassen.
Da Katja ihn grenzenlos liebt, verzeiht sie ihm seine Schwäche, nichts gegen die Psoriasis zu tun. Dadurch verhält sie sich zu Thorsten wie eine "Co-Abhängige". So nennt man diejenigen, die mit einem Abhängigen zusammen leben und es nicht über das Herz bringen, ihm die Grenzen aufzuzeigen. Weil es immer einen helfenden Menschen gibt, der den Abhängigen nie fallen lassen würde, muss er nichts grundlegend gegen seine Sucht machen. Dieses psycho-soziale Muster findet sich aber nicht nur bei Suchtkrankheiten, sondern eben auch bei anderen Patienten, die ihre Krankheit nicht wirklich angehen und bewältigen wollen.
Erfahrungen von Menschen mit Schuppenflechte oder Psoriasis arthritis: Schau Dich in unserem Forum um.
Katja und ihre Familie vermuten, dass Thorsten mit seinem Leiden auf sich aufmerksam machen will. Aber haben sie mit ihm jemals darüber offen gesprochen? Niemand weiß wirklich, ob und weshalb Thorsten sich nicht beachtet fühlen könnte. Aber selbst, wenn diese Frage zu klären wäre, verschwinden damit weder der Juckreiz noch die schwere Psoriasis.
Weiß man eigentlich genau, weshalb Thorsten nicht zum Arzt geht oder kann man darüber mit ihm nicht sprechen? Vielleicht ist es möglich, mit Hilfe aller Bezugspersonen die Gründe herauszufinden, weshalb Thorsten sich nicht helfen lassen will – zum Beispiel auf einer Familienkonferenz. Das gäbe dann vielleicht Anhaltspunkte, damit man ihn umstimmen kann.
Es ist ganz eindeutig: Thorsten braucht medizinische und psychologische Hilfe – jetzt und sofort. Aber niemand kann ihn zwingen, gesund werden zu wollen. Alle sollten eindringlich versuchen ihn davon zu überzeugen, dass er sich um seine Krankheit kümmert. Aber niemand kann ihn hinter seinem Rücken helfen: Arzttermine vereinbaren oder einen Arzt ins Haus bestellen, Medikamente ins Essen tun. Der "mündige Patient" hat das Recht, eine Therapie abzulehnen. Juristisch gäbe es die Möglichkeit, einen Menschen unter vorläufige Betreuung ("entmündigen") zu stellen, d.h. ihm das Recht abzusprechen, als Patient eigenständig zu entscheiden. Das wird aber nur in extremen Fällen genehmigt.
Ist es nicht egoistisch vom Kranken, wenn er sich überhaupt nicht um seine Krankheit kümmert?
Wenn Überzeugung nicht hilft, schafft es vielleicht Druck. Zum einen kann die Krankheit so schlimm werden, dass der Patient es nicht mehr aushält. Man hofft, dass jemand spätestens dann seine Krankheit behandeln lässt, wenn der Leidensdruck groß genug ist. Je länger man aber wartet, desto schwieriger wird es, eine Krankheit zu therapieren. Bei der Psoriasis arthritis können dann schon Gelenke unwiederbringlich zerstört sein. Angehörige können den Kranken nur immer wieder auf solche Gefahren aufmerksam machen - einsehen muss er es selbst.
Eventuell hilft persönlicher Druck, das bedeutet: eine klare Grenze zu setzen. Zum Beispiel könnte Katja ihrem Thorsten ein Ultimatum stellen: "Wenn Du Dich bis Ende der Woche nicht in ärztliche Behandlung begibst, dann .... " Ja – was, dann? Keine Zärtlichkeit mehr? Keinen Sex? Keine gemeinsame Reise? Auseinanderziehen? Weniger treffen? Trennung?
Katja liebt Thorsten und will sich natürlich nicht wirklich von ihm trennen. Aber sie hilft ihm nicht, wenn sie ihn bedingungslos und grenzenlos liebt. Sie muss etwas finden, das ihn unter Druck setzt.
Denn auch Thorsten muss etwas tun, um sich Katjas Liebe zu verdienen und von ihr respektvoll behandelt zu werden. Ist es nicht egoistisch von ihm, wenn er sich überhaupt nicht um seine Krankheit kümmert? Wenn es ihm egal ist, wie er aussieht, wie er auf gemeinsame Freunde wirkt, ob er sein Leben sinnvoll gestaltet, ob er einen Job hat usw.? Wäre es nicht ein Zeichen seiner Liebe, für Katja auf sein Äußeres, seine Erscheinung und seine Psyche zu achten? Enttäuscht er sie nicht, weil sie mit ihm ihre eigenen Probleme überhaupt nicht mehr besprechen kann? In so einer Situation kann Katja sich bestimmt nicht vorstellen, gemeinsame Kinder zu haben. Sie hat schon eines - nämlich Thorsten!
👉 Lesetipp: Erfahrungen von Angehörigen von Menschen mit Psoriasis
Jeder von uns muss lernen, in Beziehungen Grenzen zu setzen – auch Menschen, die man liebt. Wer anderen nicht offen und klar signalisiert, was man sich nicht gefallen lässt, wird ganz schnell selbst zum Opfer. Kompromisse muss man immer im Leben schließen. Ein Kompromiss bedeutet, dass jeder etwas nachgibt. Aber man darf nicht zulassen, dass ein anderer Mensch Dinge mit einem tut oder einem zumutet, die man "eigentlich" nicht will.
Gerade Frauen neigen dazu, bei ihren Partnern, Eltern oder Freunden Vieles zu erdulden. Über Jahre haben sie "großes Verständnis" mit dem anderen, quälen sich aber in Wirklichkeit und nehmen sich und ihre Interessen zurück. Wenn sie viel früher klar und unmissverständlich ausgedrückt hätten, was sie persönlich wollen und vor allem, was sie nicht wollen, wäre die Beziehung eher geklärt worden: entweder der andere verändert sein Verhalten oder man passt nicht zusammen.
Das klingt hart, aber nur so gibt es eine Lösung. Ein erwachsener Mann, der verantwortungsvoll mit seinem Leben umgeht, holt sich dann sachkundige Hilfe, wenn er ernsthaft krank ist oder psychische Probleme hat. Genau das muss Katja immer und immer drängender von Thorsten fordern. Er sollte erklären, weshalb er seine Hautkrankheit nicht behandeln lassen will. Weshalb nimmt er in Kauf, von anderen angestarrt zu werden, sich blutig zu kratzen und seine Freundin zu verzweifeln? Was ist sein persönlicher "Krankheits-Gewinn" – was erlaubt ihm die Krankheit, was er als Gesunder nicht machen darf oder sich nicht traut? Wie stellt er sich seine Zukunft mit Katja vor, wenn er so weiter macht wie bisher?
Handlungsdruck kann auch dann entstehen, wenn ein Kranker persönliche Nachteile erkennt, das heißt, wenn er befürchten muss, seine Arbeit, seine Freunde, seine Partnerin oder andere soziale Zusammenhänge zu verlieren. Wenn er aber schon alles verloren hat, ist es oft zu spät. Der Betreffende gibt sich selbst auf. Als Angehöriger kann man frühzeitig mögliche Folgen aufzeigen – mehr nicht.
Man kann allen Angehörigen und Freunden nur wünschen, dass sie die Kraft haben, einen Weg für sich zu finden. Jeder ist für sein eigenes Leben verantwortlich – im Guten wie im Schlechten.
Wie sind deine Erfahrungen?
Der Hilferuf einer jungen Frau war Anlass für uns, uns mit diesem Thema zu beschäftigen. Wie sind deine Erfahrungen als Angehöriger oder mit Angehörigen? Hast du einen Vorschlag, wie Angehörige reagieren können? Diskutiere in unserer Community.
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