Wer den TV-Beitrag „Heilung unerwünscht“ gesehen hatte, musste glauben, mit einer Vitamin-B12-Salbe (damals: Regividerm) könnten Hautkrankheiten „geheilt“ werden. Auch wenn der Autor Klaus Martens diese Behauptung zwei Tage später in der Sendung "Hart aber fair" zurücknahm und nur noch von „Linderung“ sprach, blieb das Heilversprechen im Gedächtnis haften.
Gegen diese Aussage des Beitrags wurde heftig protestiert: Man sei mit der Hoffnung chronisch kranker Menschen unverantwortlich umgegangen. Menschen würden ihr Geld für ein Präparat ausgeben, dessen Wirkung zweifelhaft, zumindest völlig ungenügend nachgewiesen sei. Manche verdächtigten den Autor der Schleichwerbung. Es gab nur wenig Stimmen, die zur Besonnenheit aufriefen und dieser neuen Therapiemöglichkeit eine Chance einräumen wollten.
Name der Vitamin-B12-Salbe geändert
Seitdem ist vieles passiert: Der Hersteller musste den Namen in Mavena B12-Salbe ändern und eine Entschädigung zahlen, weil selbst Fachanwälten unbekannt war, dass es schon ein Präparat ähnlich klingenden Namens gab. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte behauptet, die Salbe sei ein "Arzneimittel". Der Firma droht ein aufwendiges Zulassungsverfahren, wenn sie das nicht widerlegen kann.
Der Autor des TV-Beitrags wurde vom WDR für alleinverantwortlich befunden und fristlos entlassen. Man warf ihm unter anderem vor, Informationen unterdrückt zu haben. Martens verwehrt sich gegen Manipulationsvorwürfe und klagt.
Viele Patienten meldeten sich seitdem zu Wort, zum Beispiel hier im Psoriasis-Netz. Bei den meisten war die Salbe auch über längere Zeit erfolglos. Hautärzte, die wir darauf angesprochen haben, bestätigten diesen Trend.
Medienrummel um Vitamin-B12-Salbe
Aber es gab auch Patienten, bei denen die Salbe gewirkt hat - wenn auch zahlenmäßig deutlich weniger. Der Hersteller selbst berichtete auf einer Veranstaltung in Berlin von eindrucksvollen Fällen, in denen die Vitamin-B12-Salbe erfolgreich gewesen sei. Professor Johannes Wohlrab (Halle) machte den Medienrummel für die vielen Misserfolge verantwortlich. Dadurch seien die Erwartungen der Patienten vermutlich viel zu hoch gewesen. Die Vitamin-B12-Salbe wäre in erster Linie nicht für schwere Fälle, sondern für die leichten oder mittelschweren Formen der Psoriasis und des Atopischen Ekzems.
Professor Regina Fölster-Holst (Kiel) meinte, dass „Neurodermitis durch einen sehr hohen Placeboeffekt gekennzeichnet“ sei, „besonders bei neuen Präparaten“ (Ökotest, Ausgabe Dezember 2009).
Schon jetzt ist klar, dass Menschen mit einer Latex-Allergie die Vitamin-B12-Salbe nicht benutzen sollen, weil sie auf das enthaltene Avocado-Öl allergisch reagieren. Man überlege, so Dr. Hans-Joachim Zeisel von der Mavena Health Care AG, ob man es langfristig durch ein anderes Öl ersetzen oder die Konzentration verringern könne. Rötungen würden durch das Konservierungsmittel (Zitronensäure) hervorgerufen. Das solle geändert werden, versprach Dr. Zeisel. Außerdem vermute man, dass die Haut durch den hohen Fettanteil abgedichtet wird. Bei Neurodermitikern könnten sich durch diese Okklusion verstärkt Bakterien bilden. Gute Erfahrungen, so Dr. Zeisel, lägen auch bei der Behandlung der Knötchenflechte vor, während das chronische Handekzem nicht auf die Salbe ansprechen würde.
Studien zu Vitamin B12 vorgestellt
Professor Wohlrab stellte bei Vorträgen in Berlin und München die bisher durchgeführten Studien ausführlich vor1. Das sind klinische (Phase I- bis Phase III-) Studien mit Psoriasis- und mit Atopisches-Ekzem-Patienten. Eine reine Verträglichkeitsstudie sei mit gesunden Probanden durchgeführt worden. Diese Studien seien wissenschaftlich korrekt gewesen, teilweise Placebo-korrigiert bzw. im halbseitigen Vergleich. Sie hätten belegt, dass Vitamin B12 in Avocadoöl-Grundlage bei der Psoriasis vulgaris vom Plaque-Typ und der Atopischen Dermatitis einen therapeutischen Effekt habe. Relevante Nebenwirkungen seien nicht aufgetreten.
Ein halbes Jahr zuvor hatten Kritiker drei dieser Studien völlig gegensätzlich bewertet: Sie seien „äußerst dürftig: zu klein, zu kurz und zu schlecht“. Als Nebenwirkungen seien Brennen, Juckreiz, Rötung und bei jedem zweiten Patienten Kribbelgefühl und Überwärmung aufgetreten. (Gute Pillen-Schlechte Pillen 6/09). „Den behaupteten ,exzellenten‘ Nutzen der Creme ... können wir nicht nachvollziehen.“ (arznei-telegramms 11/09). Genau diese drei Studien werden dagegen von Professor Hans F. Merk (Aachen) als „durchaus interessant“ eingeschätzt. Sie ließen „das Einleiten weiterer größerer Studien sinnvoll erscheinen“ (DermoTopics, Heft 1/2010).
Wirkmechanismus erklärt
Professor Clemens Allgaier (Leipzig) hat in einem Vortrag in München den Wirkmechanismus des Vitamin B12 erklärt. Es sei durch zahlreiche Daten abgesichert, dass Menschen mit Psoriasis in der Haut einen Überschuss an Stickstoff-Monoxid (NO) hätten. Das gelte grundsätzlich für alle entzündlichen Hauterkrankungen. Stickstoff-Monoxid fördert Entzündungen. Das Vitamin B12 bindet dieses Stickstoff-Monoxid. Diese Reaktion sei experimentell belegt. Eine so verringerte NO-Konzentration in der Haut von Patienten mit Psoriasis oder dem atopischen Ekzem führe dazu, dass die Entzündung zurückginge. Vitamin B12 hemme außerdem den Prozess, durch den Enzyme neues Stickstoff-Monoxid bilden. Dazu seien aber sehr hohe Konzentrationen des Vitamin B12 nötig, die durch eine rein äußere Anwendung mit einer Salbe nicht erreicht werden könnten.
Dieser Wirkmechanismus wird z.B. bestätigt in einem Aufsatz zweier Schweizer Ärzte, Dr. Peter Marko und Franz Marty. Sie behaupten, dass „entzündliche Prozesse vermehrt Vitamin B12“ verbrauchen würden. Deshalb käme es zu „einem Vitamin B12-Mangel, der wiederum die Entzündung verstärkt“ (PrimaryCare 2006;6: Nr. 19-20).
Effekt von Vitamin B12 bezweifelt
Professor Merk dagegen bezweifelt, dass der anti-entzündliche Effekt, der in den Studien festgestellt wurde, „auf den Vitamin-B12-Gehalt zurückgeführt werden kann“. Das Vitamin sei im Körper sehr instabil und damit schwer nachweisbar. Mit gleicher Logik „ließe sich der Avocadoöl-Gehalt mit seinen antioxidativ wirkenden Substanzen diskutieren“. Beides sei, so Merk, „spekulativ“ (DermoTopics, Heft 1/2010). Professor Wohlrab wies darauf hin, dass auch Stickstoff-Monoxid schwer nachweisbar sei, weil es "äußerst reaktionsfreudig sei und in Milliardstel Sekunden andere Verbindungen aufnehmen würde". Weil man es kaum messen kann, bezweifeln andere Wissenschaftler, ob in der entzündlichen Haut wirklich überschüssiges Stickstoff-Monoxid sei.
Dr. Claudia Schöllmann (Königswinter) und Dr. Joachim Kresken (Viersen) weisen daraufhin, es sei wissenschaftlich nicht belegt, welche Substanz in der Vitamin-B12-Salbe antientzündlich wirke. Neben dem Hinweis auf das Advocado-Öl halten sie es für möglich, dass „die Grundlage als Ganzes“ diesen Effekt hervorrufe. „In diesem Fall wäre die Salbe wohl eher ein Pflegeprodukt.“ Sie halten es zur Zeit für nicht angemessen, „von einem geprüften ,Therapiekonzept‘ zu sprechen, wie es die Vertriebsfirma tut“ (DermoTopics, Heft 1/2010).
Unabhängig davon gibt es eine Sicherheit: An den Inhaltsstoffen sei nach Ökotest (Ausgabe Dezember 2009) nichts auszusetzen. "Selbst die Verpackung ist frei von PVC/PVDC/chlorierten Kunststoffen“.
Unsere Meinung
Es war völlig richtig, dass sich alle Beteiligten gegen die Aussage gewehrt haben, eine Vitamin-B12-Salbe könne chronische Hautkrankheiten „heilen“. Nach wie vor ist es unverständlich, wie eine derartige Behauptung alle redaktionellen WDR-Kontrollinstanzen passieren konnte und sogar im Titel der Sendung auftauchte. Es hätte jedem klar sein müssen, wie die Betroffenen auf so eine sensationelle Aussage reagieren würden.
Bemerkenswert ist, dass die meisten Kritiker im gleichen Atemzug und sehr vehement die vorgelegten Studien abqualifiziert und eine Wirkung der Vitamin-B12-Salbe generell bezweifelt haben. Selbst so angesehene Publikationen wie das arznei-telegramm („Vorsicht Desinformation“) oder Gute Pillen-Schlechte Pillen („Wie ein Wundermittel gemacht wird“) ordneten das Präparat eher in die Kategorie „Scharlatanerie“ ein. Man machte sich nicht mehr die Mühe, genauer zu unterscheiden, ob die Vitamin-B12-Salbe nicht vielleicht doch in bestimmten Fällen wirken könne.
Wenige Patienten, kurze Zeit
Die vorgelegten Studien zur Vitamin-B12-Salbe wurden mehrheitlich im Auftrag des Herstellers durchgeführt - mit wenig Patienten und nur über kurze Zeit. Es ist bekannt, dass bei solchen Studien die Ergebnisse meist positiver ausfallen als bei unabhängig finanzierten. Aber wer entscheidet, ob sie lediglich als „dürftige randomisierte Kurzzeitstudien“ (arznei-telegramms 11/09) oder als „wissenschaftliche Belege“ (Wohlrab) zu bewerten sind? Einige wurden von renommierten Dermatologen(-gruppen) durchgeführt. Alle haben der Vitamin-B12-Salbe bestätigt, dass sie (mehr oder weniger gut) wirkt. Es ist zu bezweifeln, dass sich solch bekannte Hautärzte dazu hergeben würden, ein reines Gefälligkeitsurteil abzugeben bzw. eine wissenschaftlich fragwürdige Untersuchung zu veröffentlichen.
Die Professoren Wohlrab und Allgaier wurden von der Mavena Health Care AG beauftragt, den Wirkmechanismus von Vitamin B12 in der entzündeten Haut und die klinischen Studien zu beurteilen. Ihre Ergebnisse haben sie in München im Rahmen einer Firmen-Präsentation einem Fachpublikum vorgetragen. Bekanntlich werden bei solchen Firmenseminaren besonders die Vorteile eines Produkts hervorgehoben.
Professoren unabhängig?
Kritiker meinen, dass Professoren nicht mehr unabhängig seien, wenn sie sich ihre Vorträge von der Industrie bezahlen lassen („Mietmäuler“). Es ist aber schwer vorstellbar, dass bei derartigen werbenden Darstellungen zugrundeliegende Fakten verdreht oder verfälscht werden. Wer das versuchen würde, müsste um mehr als seinen guten akademischen Ruf fürchten.
Klar ist, dass aktuelle Daten darüber fehlen, in welchen Fällen das Präparat wie gut hilft und in welchen Fällen nicht. Man wird vermutlich nicht erwarten können, dass ein relativ kleines Unternehmen wie Mavena solch umfangreiche und differenzierte Studien finanzieren kann.
Vielleicht wird es zukünftig wissenschaftlich nachgewiesen, welche Substanz nun wirklich in der Vitamin-B12-Salbe wirkt. Wir schätzen sie ähnlich ein wie Psoriasis-Cremes mit Mahonia aquifolium (Rubisan und Belixos) – als relativ nebenwirkungsfreies Präparat, vor allem für leichte, höchstens mittlelschwere Fälle, das nicht jedem gleich gut hilft. Generell gilt auch hier, dass man es absetzen sollte, wenn nach sechs Wochen keine deutliche Wirkung auftritt.
1 Studien zur Vitamin B12-Salbe in der Therapie
a. Verträglichkeitsstudie-Phase I, Dr. R.A. Theodor, PHARAOS GmbH, Ulm
Plaque Psoriasis
b. Dosisfindung, Bericht: Dr. M. Parmham, FIRE GMBH, Bonn
c. Phase II vs. Vehikel (monozentrisch), PD Dr. H.J. Schulze, Münster-Hornheide
d. Phase II vs. Referenz , Prof. Dr. P. Altmeyer, Bochum
e. Phase II vs. Vehikel (multizentrisch), Dr. T. Jones, J & S Studies Inc., Bryan TX, USA; Dr. A. Menter (Dallas), Dr. P. Rich (Portland), Dr. D. Stewart (Clinton), Dr. P. Yamauchi (Santa Monica)
f. Phase III vs. Vehikel (bizentrisch), Markus Stücker, Ulrike Memmel, Mathias Hoffmann, Peter Altmeyer (Bochum), Joachim Hartung (Dortmund)
g. Phase III vs. Vehikel (bizentrisch), Prof. Dr. P. Altmeyer (Bochum), Prof. Dr. R. Niedner (Potsdam)
Atopische Dermatitis (Neurodermitis)
h. Dosisfindung, Bericht: Dr. M. Parmham, FIRE GMBH, Bonn
i. Phase II vs. Vehikel (monozentrisch), PD Dr. H.J. Schulze, Münster-Hornheide
j. Phase III vs. Vehikel (bizentrisch), M. Stücker, C. Pieck, C. Stoerb., P. Altmeyer (Bochum), R. Niedner (Potsdam), J. Hartung (Dortmund)
k. Phase III vs. Vehikel (bizentrisch), Prof. Dr. R. Niedner (Potsdam), Prof. Dr. P. Altmeyer (Bochum)
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