Das ist eine schlechte Nachricht für die Betroffenen: Seit Ende August wird das Präparat Spevigo in Deutschland nicht mehr angeboten. Der Hersteller Boehringer Ingelheim konnte seine Preisvorstellungen nicht durchsetzen, weil der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) dem Präparat keinen „Zusatznutzen“ bestätigt hat. Dem stimmten auch die Patientenvertreter im G-BA zu. Jetzt will der Pharmakonzern dagegen klagen. Das Unternehmen kritisierte die unabhängigen Gutachter und fordert, das Bewertungsverfahren zu reformieren.
Bedeutung des Zusatznutzen
Spevigo (Wirkstoffname Spesolimab) wird bei der Therapie der generalisierten pustulösen Psoriasis (GPP) eingesetzt. Experten bezeichneten es als „Durchbruch“ bei dieser bisher schwer zu behandelnden Erkrankung. Wir haben im Psoriasis-Netz mehrmals ausführlich darüber berichtet ("Neu zugelassen: Spevigo"). Aber: Spevigo wird nur bei einer Variante der GPP eingesetzt, bei der sie schubweise auftritt. Das betrifft in Deutschland vermutlich um die 300 Menschen.
In den ersten sechs Monaten nach Zulassung darf der Hersteller eines Medikaments den Preis frei festlegen. So auch Boehringer Ingelheim: Die einmalige Schubbehandlung mit Spevigo kostete etwa 24.000 Euro; manchmal ist eine zweite notwendig. Danach entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), ob für das Präparat gegenüber bisherigen Therapien ein „Zusatznutzen“ nachgewiesen werden kann. Nur dann wird ein endgültiger Preis mit den gesetzlichen Krankenkassen ausgehandelt. Ansonsten erstattet die Kasse nur noch den Betrag, der für vergleichbare Präparate angesetzt ist – und das war im Fall von Spevigo hochdosiertes Methyl-Prednisolon. Die Behandlung damit kostet zwischen 300 und 600 Euro.
Ergebnis der Prüfung
Auf Grundlage des Prüfberichts des unabhängigen Instituts IQWiG kritisierte der G-BA die vom Hersteller eingereichte Studie. Sie sei „nicht geeignet“, um zu belegen, dass Spevigo gegenüber Vergleichtherapien einen Zusatznutzen hat. So sei die Placebo-Kontrolle schon am 8. Tag abgebrochen worden. Außerdem könne man nicht beurteilen, ob die GPP sich nicht deshalb verschlechtert habe, weil bisherige Therapien abgesetzt worden seien. Die sehr kleine Zahl von nur 53 Studienteilnehmern war dagegen nicht das entscheidende Problem. Der G-BA hatte darauf hingewiesen, dass es sehr wohl aussagekräftige Studien mit kleinen Patientenzahlen gäbe.
Der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim warf dem G-BA daraufhin vor, „zu starr“ geprüft zu haben. In Frankreich sei Spevigo ein Zusatznutzen bestätigt worden. "Eine solche Ablehnung würde deutsche Pharmahersteller abschrecken, weiterhin in Deutschland zu forschen, zu entwickeln und klinisch zu forschen.“ Die Firma forderte, zusätzlich sollten für diese Bewertung auch medizinische Fachgesellschaften und Patientenverbände eingebunden werden.
Einschätzung
Es muss für die Betroffenen ein schwerer Schlag gewesen sein, dass sie ihre GPP-Schübe nun wieder allein mit Kortison behandeln können. Sie hatten gehofft, mit Spevigo endlich eine Alternative zu haben.
Der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim hat mit erheblichem Werbeaufwand in der Fachöffentlichkeit und auf Kongressen auf sein neues Präparat aufmerksam gemacht. Einerseits erstaunlich, weil es nur eine sehr kleine Patientengruppe betrifft. Andererseits nicht so überraschend, weil im Wirkprinzip (Hemmung von IL-36) ein „Durchbruch“ in der Therapie der GPP gesehen wird. Man erhofft sich langfristig, damit die Behandlung mit innerlichen Kortikoiden ersetzen zu können.
Folgen der G-BA-Entscheidung
Von Boehringer Ingelheim wird Spevigo als künftiger „Blockbuster“ angesehen. Das scheint bei einem Preis von 24.000 Euro pro Behandlung plausibel. Nach der G-BA-Entscheidung hätten die Kassen für Spevigo aber nur noch die deutlich niedrigen Kosten der "Vergleichstherapie" erstatten dürfen. Durch eine Klage erhofft man sich, die G-BA-Entscheidung zu kippen und doch noch einen Zusatznutzen bestätigt zu bekommen. Dann würde das hochpreisige Präparat auch in Deutschland wieder angeboten werden.
Ob dieser hohe Preis sachlich gerechtfertigt ist, muss nach bisherigen Erfahrungen bezweifelt werden! Schon lange sind es nicht mehr die Kosten für Forschung und Entwicklung, die die Medikamenten-Preise hochtreiben. Es sind die Gewinnerwartungen einer Branche, die seit Jahren pro Jahr durchschnittlich 25,7 % Gewinn macht. Der betrug z.B. bei Boehringer Ingelheim in 2022 mehr als 1,3 Mrd. Euro! Dieses Geld kommt weltweit aus den Beiträgen der Krankenversicherten.
Reaktionen der Herstellerfirma
Vor der endgültigen Entscheidung des G-BA wurde Boehringer Ingelheim noch einmal angehört. Gegenüber der Öffentlichkeit wurde den Gutachter lediglich eine „inadäquate Nutzenbewertung“ vorgeworfen. In anderen Ländern würde man ihnen „Brücken bauen, um das Medikament auf den Markt zu bringen. Eine solche Ablehnung würde Pharmahersteller abschrecken, weiterhin zu forschen, zu entwickeln und klinisch zu forschen“. Mit dieser Haltung wäre die „Versorgung insbesondere von Patient:innen mit schweren, seltenen Erkrankungen gefährdet.“ Das Unternehmen forderte, grundsätzlich die Nutzenbewertung zu entbürokratisieren und medizinische Fachgesellschaften und Patientenverbände einzubeziehen.
Das sind keine inhaltlichen Gegenargumente, sondern pauschale Vorwürfe. Damit werden unabhängigen Wissenschaftler zu "kleinkarierten Bürokraten" abgestempelt. Was „unangemessen“ am Gutachten ist, hätte das Unternehmen öffentlich belegen können. Stattdessen erwartete man „Brücken“, damit Spevigo am Markt bleiben könne. Hätte sich das Gremium also über das wissenschaftliche Gutachten hinwegsetzen sollen?
Die Stellungnahme klingt darüberhinaus einschüchternd: Boehringer Ingelheim deutet an, man könne Deutschland auch als Forschungsstandort verlassen. Diese Drohung gehört aktuell zum "Waffen-Arsenal" der deutschen Pharmalobby. Damit soll weitergehenden Forderungen bis hin zur Nutzung von Patientendaten Nachdruck verliehen werden.
Ist es tatsächlich die „Haltung“ des G-BA, dass Firmen Arzneimittel für seltene Krankheiten (Orphan Drugs) nicht auf den Markt bringen? Ist dadurch die Behandlung seltener Erkrankungen in Deutschland bedroht? Nein, das Argument ist im Allgemeinen falsch. Denn neue Arzneimittel für diese Gruppe müssen überhaupt keinen Zusatznutzen nachweisen. Spevigo ist ein Sonderfall: Das Präparat ist in der EU nicht als Orphan Drug gelistet, obwohl es nur für eine selten vorkommende Variante der GPP zugelassen ist. Liegt es daran, dass die GPP zur häufig vorkommenden Psoriasis gezählt wird? Oder daran, dass sich der Hersteller eine auf die gesamte GPP erweiterte Zulassung offenlassen will? In den USA hat Spevigo den Orphan-Drug-Status.
Die Firma forderte, weitere Akteure in die Bewertung neuer Medikamente einzubinden. Im Gegensatz zum IQWiG sind die aber nicht unabhängig: medizinische Fachgesellschaften und viele Patientenverbände könnten ihre Aufgaben kaum noch erfüllen, hätten sie nicht die Sponsoren aus der Pharmaindustrie. Und: In diesem Fall hätte es nichts genutzt. Auch die Patientenvertreter im G-BA meinten, dass die eingereichte Spevigo-Studie nicht ausreicht, um einen Zusatznutzen zu bestätigen.
Unabhängige Prüfung ist alternativlos
Als Patienten wollen wir uns darauf verlassen können, dass die Wirkung und der Nutzen eines Medikaments seriös nachgewiesen wird. Deshalb ist es richtig, dass das eine unabhängige Einrichtung überprüft. Dabei können Fehler passieren, die der Hersteller aber noch vor der endgültigen Entscheidung in einer Anhörung klären kann.
Die Tabelle zeigt, dass für 47 Prozent der in Deutschland neu zugelassenen Präparate kein Zusatznutzen festgestellt wurde. Das ist ärgerlich für die betroffenen Hersteller. Aber es verhindert, dass Patienten mit grundlos überteuerten Produkten behandelt werden. Für die betroffenen GPP-Patienten hoffen wir, dass die Experten letztendlich belegen können, dass eine Behandlung mit dem Biologikum Spevigo allemal besser ist, als die Einnahme starker Kortikoide.
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