Arzneistoff, Schädlingsbekämpfungsmittel und Gift zugleich: Substanzen wie Dimethylfumarat decken das gesamte Spektrum ab. Denn einerseits wurde das von der natürlich vorkommenden Fumarsäure abstammende Pestizid bereits vor Jahren als giftig eingestuft, nachdem Hunderte von Menschen unter Vergiftungserscheinungen litten.
Dimethylfumarat, zumeist als Trocken- und Antischimmelmittel für Sofas und Schuhe eingesetzt, verursachte Atembeschwerden, schwere allergische Reaktionen sowie starke Hautentzündungen. Deshalb wurde die Substanz seit 2009 EU-weit in Konsumgütern verboten.
Andererseits ist Dimethylfumarat der Wirkstoff von Fumaderm beziehungsweise Fumaderm initial. Das Medikament wird bei mittelschwerer bis schwerer Schuppenflechte eingesetzt und gilt als gut wirksam und mehr oder weniger verträglich, selbst als Dauermedikament.
Zwar berichten viele Patienten über Nebenwirkungen wie vorübergehende Gesichtsrötungen oder Magen- und Darmbeschwerden. Allerdings sollen diese mit der Zeit abklingen.
Keine Spur also von giftigen Eigenschaften. Von einem Verbot in Arzneimitteln ist nicht die Rede. Da stellt sich natürlich die Frage: Wie kann es sein, dass ein und dieselbe Substanz einerseits giftig wirkt und andererseits heilsame Prozesse ankurbelt?
„Fumarsäureester haben aggressive Eigenschaften auf der Haut und bewirken so die beschriebenen Kontaktallergien“, bestätigt Marcus Neureither von der Herstellerfirma Biogen Idec. Doch die Haut sei eben nicht vergleichbar mit Schleimhäuten und erst recht nicht mit den speziellen Eigenschaften der Zellen.
Nach Neureuthers Meinung könnte die unterschiedliche Verträglichkeit auf folgender Tatsache beruhen: Bei oraler Aufnahme als Tablette wird Dimethylfumarat im Magen- und Darmtrakt recht schnell zu Methylhydrogenfumarat und schließlich zur Fumarsäure abgebaut - Stoffe, die eine andere Verträglichkeit besitzen. Dieser Abbauweg bestehe bei der Aufnahme über die Haut nicht. „Man weiß aus diversen Studien und Langzeit-Erfahrung, dass bei Dimethylfumarat als Tablette keine Langzeitschäden zu erwarten sind“, so Neureither.
Tatsächlich wird die Substanz seit Ende der 1950er Jahre erforscht und ist seit 1995 als Arzneimittel zugelassen. In der "Leitlinie zur Therapie der Psoriasis vulgaris" von 2011 stand dazu:
ZitatIn offenen Studien liegen Ergebnisse von Patienten mit Psoriasis vulgaris vor, die über ein Jahr lang mit Fumaderm behandelt wurden. Neben einer sehr guten Wirksamkeit konnten keine unerwünschten Arzneimittelwirkungen beobachtet werden, die bei länger dauernder Therapie auftraten und zum Abbruch der Therapie führten.
Die Nebenwirkungen könnten durch langsame Erhöhung der Dosis im Zaum gehalten werden. Magen-Darm-Beschwerden ließen sich durch die Einnahme der Tabletten zu den Mahlzeiten oder mit einem Glas Milch lindern. Der Gesichtrötung könne man mit Acetylsalizylsäure begegnen.
Auch Maik Pommer vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) stellt den Einsatz von Dimethylfumarat als Tablette nicht in Frage. Ein Verbot in Konsumgütern führe nicht zwangsläufig zu einem Verbot von wirkungsvollen Arzneistoffen, erklärt er. Sobald ein Patient seinem Arzt oder Apotheker allerdings von schweren Nebenwirkungen oder sonstigen Unverträglichkeiten berichtet, würden diese über ein Meldesystem an das BfArM weitergeleitet. „Bei Dimethylfumarat als Tabletten gibt es bis heute keine derartigen Signale“, so Pommer. Die Zulassung des Wirkstoffes steht daher nicht zur Diskussion. Bislang bestünden keine Zweifel über das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis bei der Behandlung schwerer Autoimmunerkrankungen.
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