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    Rolf Blaga

    Biologika können Darmerkrankungen aus der Reserve locken

    Wer mit Biologika wie Cosentyx, Taltz oder Kyntheum behandelt wird, sollte abklären, ob er eine chronisch entzündliche Darm-Erkrankung (CED) haben könnte. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft warnt: Es bestehe der Verdacht, dass diese Biologika für schwere Darmentzündungen verantwortlich sind oder bisher unentdeckte Darmentzündungen verschlimmern. Typische Symptome sind ständig wiederkehrende Bauchschmerzen oder Durchfälle. 

    Wichtig: Wer mit einem der Medikamente behandelt wird, muss nicht panisch werden. Nur sehr wenige sind betroffen – nach Angaben der AKdÄ weniger als 1 Prozent.

    Darmprobleme abchecken

    Die Arzneimittelkommission (AKdÄ) führt seit längerem eine Datenbank, in die Patienten und Ärzte alle beobachteten Nebenwirkungen eintragen können. Dort seien Fälle gemeldet worden, bei denen sich unter Cosentyx (Secukinumab) eine bisher unauffällige verlaufende CED akut verschlechtert hat, schreibt die AkdÄ. Andere Meldungen würden vermuten lassen, dass durch den Wirkstoff bei vorher gesunden Patienten eine CED ausgelöst wurde. Da die Biologika Taltz (Ixekizumab) und Kyntheum (Brodalumab) ebenfalls am IL-17 ansetzen, seien ähnliche Folgen zu erwarten. Deshalb sollten diese Patienten nach einer CED-Vorerkrankung gefragt werden. Nur bei Kyntheum wird schon jetzt ein „aktiver“ Morbus Crohn abgeklärt. Das Medikament darf dann nicht gegeben werden. Die AKdÄ empfiehlt außerdem, diese Patienten regelmäßig danach zu fragen, ob verdächtige, länger anhaltende Darmprobleme aufgetreten sind.

    IL-17-Blockade fördert Darmentzündungen

    Die genannten Biologika sind Antikörper, die auf die Zytokinfamilie Interleukin-17 [1] zielen. Sie verhindern, dass deren entzündungsfördernde Signale an das Immunsystem weitergeleitet werden. Aber ein Botenstoff kann mehrere Funktionen haben. So wird beim Fehlen des IL-17 gleichzeitig die Barrierefunktion der Darm-Schleimhaut geschwächt. Das aber könne dort zu verstärkten Entzündungsreaktionen führen, schreibt die AKdÄ. Langfristig könne sich dadurch eine CED entwickeln.

    Die Kommission weist aber darauf hin, dass diese Zusammenhänge nicht endgültig bewiesen seien. Dazu würden bisher zu wenig Daten vorliegen. Sie seien aber „biologisch plausibel“, wären schon bei Mäusen nachgewiesen und würden durch Fallberichte aus Kliniken und ihrer Datenbank bestätigt. 

    CED als Psoriasis-Begleiterkrankung

    Eine chronisch entzündliche Darm-Erkrankung gehört zu den typischen Begleiterkrankungen („Komorbiditäten“) der Schuppenflechte. D.h. Menschen mit Psoriasis haben sowieso ein höheres Risiko, daran zu erkranken als die Normalbevölkerung. Professor Jörg Prinz berichtete, dass 9,6 bis 11 Prozent der Psoriatiker gleichzeitig an Morbus Crohn leiden. Vom Colitis ulceros seien 5,7 Prozent der Menschen mit Schuppenflechte betroffen [2].

    Je schwerer die Psoriasis ist, desto höher ist das Risiko, zusätzlich an einer CED zu erkranken schreibt die AKdÄ. Da Biologika meist bei schwer Betroffenen eingesetzt werden, seien diese Patienten von Anfang an gefährdeter. Wenn dann zusätzlich das Medikament Darmentzündungen fördert, steigt das Risiko einer CED.

    Kommentar

    Die Zahl der möglichen Fälle wird von der AKdÄ als unter 1 Prozent genannt. Sie kann aber nur geschätzt sein, weil es zu wenig Daten gibt. Wenn die Zahl zutrifft, gehören die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen zu den „gelegentlich“ auftretenden Nebenwirkungen. Das ist nicht „häufig“ oder „sehr häufig“, aber auch nicht „selten“ oder „sehr selten“. Patienten, die mit dieser Wirkstoffgruppe behandelt werden, sollten aktiv werden, wenn sie regelmäßig Darmprobleme haben. Je früher eine CED erkannt wird, desto besser ist sie zu behandeln. Im von der AKdÄ geschilderten Fall wurde der Patient auf Humira (Adalimumab) umgestellt.

    Unverständlich ist, weshalb diese Warnung nicht (auch) von den weltweit geführten Psoriasis-Registern gekommen ist. Gerade die sind dafür eingerichtet worden, vor allem bisher unentdeckte Nebenwirkungen durch regelmäßige Befragungen festzustellen. Beim deutschen Register PsoBest steht die Frage nach neu aufgetretenen Nebenwirkungen in der Check-Liste des Arztes bzw. seiner Assistentin. Der Patient wird lediglich mündlich danach gefragt. 

    Es ist kaum vorstellbar, dass chronisch entzündliche Darmerkrankungen in den Registern nur deshalb nicht aufgefallen sind, weil „vergessen“ wurde, nach neuen Nebenwirkungen zu fragen. Entweder irrt sich die AKdÄ mit ihrer Einschätzung und es handelt sich um sehr seltene Einzelfälle. Dem widerspricht aber ihre Einschätzung, dass es einen „plausiblen Zusammenhang“ zwischen blockiertem IL-17 und dem Auftreten einer Darmentzündung gibt – an Mäusen bewiesen, an Menschen in Fällen dokumentiert. Oder aber gemeldete Nebenwirkungen werden von den Psoriasis-Registern grundsätzlich anders ausgewertet. So dass zum Beispiel sehr seltene Fälle nicht publiziert werden.

    Zur kritischen Betrachtung der Arbeit der Psoriasis-Register gehört die Tatsache, dass sie alle "Interessenkonflikte" haben. Sie können ihre Arbeit nur durchführen, weil sie direkt oder indirekt von großen Pharmafirmen mitfinanziert werden. Das hat damit zu tun, dass die Hersteller von Biologika verpflichtet wurden, nach Zulassung die langfristige Wirkung ihrer Präparate zu beobachten. Es ist aber nicht vorgesehen, das von finanziell unabhängigen Einrichtungen dokumentieren zu lassen – also werden unter anderem die Hersteller zur Kasse gebeten. Von pharma-gesponserten Arzneimittel-Studien weiß man, dass deren Ergebnisse durch diese Auftragsforschung verzerrt sind. Damit man bei den Ergebnissen der Psoriasis-Register nicht den gleichen Effekt befürchten muss, sollten sie deutlich machen, wie sie die Unabhängigkeit ihrer Arbeit absichern.

    Firmen selbst warnen Ärzte mit „Rote-Hand-Briefen“ vor neu erkannten Arzneimittel-Risiken. Aber erst dann, wenn die Zusammenhänge wissenschaftlich bewiesen sind. Eine frühzeitige Warnung, wie sie die AKdÄ ausgesprochen hat, ist eher selten.

    Als betroffener Patient erwartet man, dass selbst bei Verdachtsfällen vorsorglich auf mögliche Nebenwirkungs-Risiken hingewiesen wird. Selbst auf die Gefahr hin, dass manche Menschen bei neu entdeckten Arzneimittel-Nebenwirkungen schnell panisch reagieren. Jeder kann für sich entscheiden: Wie groß ist das Risiko? Wie stark sind die Nebenwirkungen im Verhältnis zur Besserung der Schuppenflechte? Und wie gut kann die moderne Medizin mit diesen Nebenwirkungen umgehen?

    Quelle: "Induktion und/oder Demaskierung von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen unter Secukinumab (Cosentyx®)", Deutsches Ärzteblatt | Jg. 115 | Heft 14 | 6. April 2018

    [1] Sie besteht aus fünf verschiedenen Botenstoffen: IL-17A bis IL-17F. Die veranlassen, dass verstärkt Hautzellen (Keratinozyten) gebildet und Entzündungen ausgelöst werden. Das Signal dazu wird aber nur weitergeleitet, wenn der Botenstoff an einen Rezeptor andockt. IL-17 passen nur in IL-17-Rezeptoren, wie ein Schlüssel in ein Schloss. Während Secukinumab und Ixekizumab verhindern, dass sich überhaupt IL 17A bilden, blockiert Brodalumab die IL-17-Rezeptoren. IL-17A und weitere aus der IL-17-Familie finden keine freien Rezeptoren. Dadurch werden ihre Botschaften nicht weitergeleitet.

    [2]  „Ursachen der Psoriasis“, Vortrag am 15. September 2017 in Bad Reichenhall, Patientenveranstaltung der PSOAG

    Tipp zum Weiterlesen

    Bei manchen Biologika können Hefepilze zum Problem werden
    (Pharmazeutische Zeitung, 11.01.2022)

     Einige Biologika können dafür sorgen, dass der Körper der Hefepilze nicht mehr Herr wird. Das sollten alle wissen haben, die diese Biologika anwenden. Nicht in Panik verfallen, aber eben im Hinterkopf haben. In diesem Artikel heißt es:

    Zitat

    Biologika, die das Interleukin-17 (IL-17) hemmen, erhöhen das Risiko für Infektionen mit Hefepilzen (Candidosen) stark. Interleukin-12/23-Hemmer sind weniger stark betroffen.

    Um das in die gängigen Medikamentennamen zu übersetzen: IL-17-Hemmer sind zum Beispiel Cosentyx, Taltz,  Kyntheum und Bimzelx. Ein IL-12/23-Hemmer ist zum Beispiel Stelara. Tremfya, Ilumetri und Skyrizi hemmen "nur" IL-23.


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    Empfohlene Kommentare

    Hallo Ruth!

    Es tut mir leid, dass Du eine schlimme Darmentzündung bekommen hast. Ist es völlig sicher, dass das Biologikum dafür verantwortlich ist? Kannst Du sie jetzt gut behandeln?

    In dem Artikel wird darauf hingewiesen: Menschen mit Schuppenflechte haben ein höheres Risiko als die Normalbevölkerung, an einer chronischen Darmentzündung zu erkranken. Und zwar völlig unabhängig davon, ob sie überhaupt Medikamente nehmen! Die Schuppenflechte mit ihren starken Entzündungen provoziert leider weitere andere entzündungsbedingte Begleiterkrankungen (med. Komorbiditäten).

    Im Artikel steht, dass bisher nur vermutet wird, dass die IL-17 Blocker (und nur die, die anderen Biologika nicht!) schwere Darmentzündungen hervorrufen können. Aber es sei "plausibel". Ich selbst bin jahrelang mit einem Biologikum aus dieser Gruppe behandelt worden. Als dann chronische Magenbeschwerden auftreten, habe ich es sofort abgesetzt. Dann habe ich alle denkbaren Magen- und Darmuntersuchungen gemacht. Aber es konnte absolut nichts gefunden werden. Die Beschwerden habe ich immer noch, obwohl ich den IL-17 Blocker vor einem Jahr abgesetzt habe. An dem kann es bei mir jedenfalls nicht gelegen haben.

    Deine Warnung ist persönlich verständlich. Aber sie ist unberechtigt und für andere nicht hilfreich. Bedenke, wie vielen Menschen mit schwerer Psoriasis dadurch geholfen wird, wieder fast normal zu leben. Ich habe spontan keine Zahl gefunden: aber bei vermutlich über 95 Prozent treten k e i n e schwere Nebenwirkungen auf.

    Wer mit einem Biologikum behandelt wird, ist schwer erkrankt. Für diese Menschen sind Biologika oft die letzte Möglichkeit. Aber, und das gilt für alle schweren Krankheiten: Medikamente dagegen müssen meist hochwirksam sein. Deshalb können sie bei einem Teil der Patienten neue Beschwerden ("Nebenwirkungen") hervorrufen. Darauf müssen Ärztin und Patient vorbereitet sein. Sie müssen regelmäßig ("engmaschig") überprüfen, ob unter der Therapie neue Symptome aufgetreten sind. Die müssen dann möglichst früh behandelt werden.

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