Wer immer wieder eine Infektion mit Streptokokken ausbrütet und Schuppenflechte hat, hört zuweilen den Rat, sich die Gaumenmandeln entfernen zu lassen. Was ist da dran?
Erste Studie
Im Sommer 2006 stellten Münchner Mediziner um Professor Jörg Prinz das Ergebnis ihrer Forschung und Erfahrung dar: Sie hatten solche Psoriasis-Patienten untersucht, die ihre Schuppenflechte durch eine Streptokokken-Angina bekommen hatten. Dabei stellten sie fest, dass sich in den Mandeln („Tonsillen“) dieser Psoriatiker die gleichen Lymphozyten („T-Zellen“) befinden wie in den psoriatischen Haut. Durch molekular-biologische Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass diese T-Zellen von den Mandeln „gezielt in die Haut einwandern“. Wenn die Mandeln entfernt werden, wird „der Nachschub von krankheitsvermittelnden T-Zellen unterbunden“. Die Psoriasis kann dadurch positiv beeinflusst werden.
Die Forscher wiesen damals deutlich darauf hin: Die Besserung war nur nachgewiesen für Fälle, in den die Schuppenflechte durch eine Angina verursacht wurde.
Zweite Studie: Besserung der Psoriasis bei 70 Prozent
Im Herbst 2014 veröffentlichten US-Forscher eine Studie. Sie wollten wissen, ob sich eine Besserung der Schuppenflechte nach der Entfernung der Mandeln wissenschaftlich beweisen lässt. Sie schauten sich die Datenlage dazu an.
April W. Armstrong von der Universität von Colorado in Denver (USA) und ihre Kollegen durchforsteten medizinische Studien und Veröffentlichungen der letzten 53 Jahre. Sie wollten feststellen, ob die Mandel-Operation (Fachbegriff: Tonsillektomie) eine Psoriasis bessert. Durchsucht wurden die Datenbanken Medline, Cinahl, Cochrane, Embase, Web of Science und OVID-Datenbanken.
Schlussendlich kamen 20 Artikel in die engere Auswahl. Darin wurden die Fälle von insgesamt 545 Psoriasis-Patienten erwähnt, denen die Mandeln entfernt worden waren oder entfernt werden sollten. 410 davon unterzogen sich wirklich der Operation. Danach besserte sich die Schuppenflechte bei 290 von ihnen – also bei 70 Prozent der Operierten. Einige berichteten von einer längerfristigen Besserung, bei anderen kam die Psoriasis später wieder.
15 der 20 gefundenen Artikel hatten für die Forscher einen Nachteil: Es waren Einzelfallberichte oder Studien, in denen eine Kontrollgruppe fehlte.
Das Fazit der Forscher: Die Entfernung der Mandeln kann eine Option für Patienten mit einer hartnäckigen Schuppenflechte und wiederkehrenden Mandelentzündungen sein. Sie fordern aber Studien, in denen Patienten nach einer Mandel-Operation langfristig beobachtet werden – also Monate und Jahre später erneut befragt werden, wie es ihnen und ihrer Haut geht. Dann erst könne der Nutzen einer Entfernung der Mandeln eindeutig belegt werden.
Dritte Studie: Lebensqualität steigt nach Mandel-Operation
Schwedische Forscher konzentrierten sich in einer Studie auf den Aspekt der Lebensqualität. Sie untersuchten 29 Patienten mit einer Plaque-Psoriasis, die in der Vergangenheit immer wieder eine Verschlechterung ihrer Schuppenflechte nach einer Streptokokken-Infektion erlebt hatten. 15 Patienten wurden die Mandeln entfernt, 14 nicht. Zwei Jahre danach wurden sie nach ihrer Lebensqualität, nach Stress (konkreter: mit Psoriasis verbundenem Stress) und nach der Schwere ihrer Schuppenflechte befragt. Diejenigen, bei denen die Mandeln entfernt worden waren, zeigten eine Verbesserung ihrer Lebensqualität um 50 Prozent. Der mit der Psoriasis verbundene Stress war um 60 Prozent zurückgegangen. Und: 87 Prozent der operierten Patienten meinten, dass sich die Entfernung der Mandeln für sie gelohnt hat. Das nüchterne Fazit der Forscher: "Eine Tonsillektomie kann die Lebensqualität bei ausgewählten Patienten mit Plaque-Psoriasis verbessern."
👉 In unserem Forum berichten Betroffene von ihren Erfahrungen mit einer Mandel-Operation.
Mandeln entfernen: Gibt es Nebenwirkungen?
Kann es langfristig zu Nebenwirkungen führen, wenn man sich die Mandeln entfernen lässt? In Dänemark wurden die Daten aller Kinder ausgewertet, denen zwischen 1979 und 1999 die Mandeln entfernt wurden. Es zeigte sich, dass sie langfristig wesentlich anfälliger für Atemwegs- und Infektionskrankheiten sowie für Allergien waren. Es kann, muss aber nicht sein, dass das auch auf diejenigen zutrifft, die sich wegen ihrer Psoriasis die Mandeln haben entfernen lassen.
In Dänemark wurden die Registerdaten von über 60.000 Kindern ausgewertet, denen bis zum 9. Lebensjahr die Mandeln des Rachens (Adenotomie) oder des Gaumens (Tonsillektomie) oder beide entfernt wurden. Das berichtete die Online-Plattform MedScape im Juni 2018. Diese Kinder erkrankten später 2- bis 3-mal so oft an den oberen Atemwegen als der Bevölkerungsdurchschnitt. Infektionskrankheiten und Allergien kamen bei ihnen ebenfalls öfters vor, wenn auch nicht so häufig wie Atemwegs-Erkrankungen.
Untersucht wurde außerdem, ob bestimmte Krankheiten vermieden werden konnten, wenn die Mandeln herausgenommen wurden. Schlafstörungen und Halsentzündungen kamen in dieser Gruppe seltener vor. Nebenhöhlen- und Mittelohr-Entzündungen dagegen häufiger. Nach Psoriasis wurde in dieser Auswertung nicht gefragt.
MedScape zitiert Prof. Reinhard Berner. Der weist darauf hin, dass die Gaumenmandeln ein Organ des Immunsystems sind. Sie verhindern, dass Bakterien und Viren über die Atemluft oder die Mundschleimhaut aufgenommen werden. Wenn sie entfernt werden, fällt dieser Filter des Immunsystems weg. Natürlich, so Berner, gebe es Erkrankungen der Mandeln, die trotzdem operiert werden müssen. Dabei seien Nutzen und Risiko stets abzuwägen.
Die bisherigen Mandel-OP-Studien zur Psoriasis haben alle ihre Schwächen. Meist sind zu wenig Patienten untersucht worden. Aber tendenziell sagen sie aus, dass sich bei 70 Prozent der Operierten die Schuppenflechte verbessert habe. Eine aufwendige Untersuchung aus Island zeigte darüberhinaus, dass sich bei niemanden durch die Entfernung der Mandeln die Psoriasis verschlechtert hat.
Professor Jörg Prinz weist auf eine Besonderheit hin: Nur bei Patienten, die eine genetische Konstellation HLA-Cw6-positiv haben, konnte eine Streptokokken-Angina als Auslöser für eine Psoriasis nachgewiesen werden. Diesen Patienten würde er empfehlen, sich die Mandeln entfernen zu lassen. Ob man zu dieser Gruppe gehört, kann man durch eine Gen-Diagnostik – einer sogenannten quantitativen Echtzeit-PCR – im Labor feststellen lassen.
Mehr zum Thema im Psoriasis-Netz
➔ Fakten: im Bericht von der Fachärzte-Tagung 2015
➔ Forum: Erfahrungen von Betroffenen mit dem Erfolg einer Mandel-OP
➔ Erfahrungsbericht: "Zwei Wochen nach der Mandel-OP war ich fast beschwerdefrei"
Quellen
- Studie 1 aus München: Deutsches Ärzteblatt vom 24.07.06; Journal of Immunology 2006,176:7104-7111
- Studie 2: "Effect of tonsillectomy on psoriasis: A systematic review", April W. Armstrong et. al. in: Journal of American Academy of Dermatology, 19.11.2014
- Studie 3 aus Schweden: "Patient-reported Outcomes and Clinical Response in Patients with Moderate-to-severe Plaque Psoriasis Treated with Tonsillectomy: A Randomized Controlled Trial." in: Acta dermato-venerologica; November 2016
Quellen zum Thema Nebenwirkungen der Mandeln-Entfernung
- Association of Long-Term Risk of Respiratory, Allergic, and Infectious Diseases With Removal of Adenoids and Tonsils in Childhood, Sean G. Byars et.al., Juni 2018
- Tonsillektomie zur Fokussanierung bei der Psoriasis, der atopischen Dermatitis und der chronischen Urtikaria, Dissertation Wiebke Schulze, Hamburg 2012
- Improvement of Psoriasis after Tonsillectomy Is Associated with a Decrease in the Frequency of Circulating T Cells That Recognize Streptococcal Determinants and Homologous Skin Determinants, Ragna Hlin Thorleifsdottir et,al. Mai 2012
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