Göttliche Ordnung und vernünftiges Töten – Teil 1
Zeitreisen sind anstrengend, vor allem wenn es einen nicht an die schönen Plätze führt, sondern man eine Hinrichtungsstätte nach der anderen besucht. Wer sensibel auf die Todesstrafe reagiert, sollte hier aufhören zu lesen. Ich reagiere ja auch empfindlich auf verordneten Tod, aber wenn man Verbrechen in der Vergangenheit bearbeitet, kommt man nicht um ihn drum rum (und spannend ist es auch noch ;o)).
Also auf meiner Reise habe ich Dinge gesehen, die stellt man sich nicht in seinen schlimmsten Träumen vor. Mit dem Mittelalter assoziiert man ja gern sofort Barbarei, Gesetzlosigkeit, Rückständigkeit, Gewalt und Härte – tiefstes Mittelalter eben. Diesen arroganten Blick von oben verdanken wir unserer Wiege der Aufklärung, infolge derer wir vermeintlich der Gewalt abschworen und uns Humanité auf die Stirn und ins Herz tätowierten. Tatsächlich fand in punkto Strafsystem (unter anderem) ein langsamer Wechsel statt, der auf einem veränderten Selbstverständnis/Selbstbild beruhte. Im mittelalterlichen Rechtssystem ging man davon aus, dass die herrschaftliche Ordnung auf Erden, die Ordnung im Himmel repräsentiert. Wer gern in historischen Romanen o.ä. schmökert kennt das – Herrscher von Gottes Gnaden. Eine Überschreitung dieser Ordnung durch ein Verbrechen kam so einer Beleidigung Gottes gleich und man fürchtete seinen umgehenden Zorn. Eine Bestrafung/Rache der Untat musste demzufolge die gesellschaftliche und göttliche Ordnung wieder herstellen und stabilisieren, den erzürnten Gott besänftigen und letztendlich auch für das Seelenheil der Hingerichteten sorgen. Nicht zuletzt drohte ihnen die Gefahr der ewigen Verdammnis und das war in der Vorstellung unserer Vorfahren das Schrecklichste überhaupt. Ein Beispiel: Zum Tode Verurteilte (was tatsächlich nicht so oft vorkam) bekamen sofort nach ihrem Urteil und bis zum letzten Atemzug priesterlichen Beistand. Sie wurden so gut seelisch umsorgt und gehätschelt, dass es einige Leute zum Nachdenken brachte. Eigentlich sollten die zeitlich sehr lang und ritualisierten Hinrichtungen (wiederholter Richtspruch, brechen des Richterstabes, beten, beichten, beten, abfahren der Tatorte und dortige Malträtierung der Mörder mit glühenden Zangen, wieder beten, Ansprache an das Publikum, rädern o.ä., Ausstellung der toten Körper meist über Jahre hinweg, etc.) als Abschreckung und zur Läuterung der Untertanen dienen. Potenziellen Selbstmördern kam nun die seelische Verhätschelung recht. Brachten sie sich selbst um, würden sie für ewig in der Hölle schmoren. Wurden sie exekutiert (und vorher gehörig gefoltert, denn je größer der Schmerz, um so sicherer das Seelenheil), stand ihnen ewige Glückseligkeit bevor. Und nun passierte, was die Obrigkeit ordentlich schockte. Wer des Lebens überdrüssig war, schnappte sich ein Kind (das war noch unschuldig und kam auf jeden Fall ohne letzte Salbung in den Himmel), brachte es um und bekannte sich sofort schuldig. Das wurde so oft praktiziert, dass man dazu überging, die Hinzurichtenden nur noch in der Fronerei zu betreuen und den letzten Weg „allein“ antreten zu lassen, um keinen indirekten Selbstmord mehr zu provozieren.
Die Hinrichtungen wurden öffentlich vollzogen und waren eine Art Feiertag für die Bevölkerung. Diese strömte zu Tausenden heran, um einen Blick zu erhaschen und einfach auch, um einen schönen Tag zu haben. Es wurde getratscht und geflirtet, gelesen, gesungen und gebetet. Und zu guter Letzt wurde der Scharfrichter angefeuert und seine „Arbeit“ beurteilt. Die Hinrichtungsstätte war so gut wie möglich gesichert und ein großes Aufgebot von Soldaten präsent, denn es kam schon vor, dass der Scharfrichter vom Publikum verhauen wurde, wenn er z.B. nicht gleich den Hals getroffen hat. Wenn der Hass auf die Verurteilten groß genug war, mussten auch sie „geschützt“ werden. Wie „gut“ die Abschreckung der Hinrichtungen funktionierte, zeigte schon allein die Tatsache, dass die Diebe besonders bei diesem Spektakel zuschlugen und klauten was das Zeug hielt, während die Beklauten mit offenen Mündern die Todesangst des/der Hinzurichtenden bestaunten.
Eigentlich wollte ich an dieser Stelle fertig sein, aber ich bin wie immer abgeschweift. Also wie gehabt:
Fortsetzung folgt ….
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