Promelkow 1
Eine Kurzgeschichte von Graf Duckula :-)
Der falsche Ort
Promelkow ging an jenem Abend, in jener Stadt, in jene Kneipe, und schon als er den Schankraum betrat, wurde ihm klar, dass dieser hier der falsche Ort war. Hier würde er keine Ruhe und Entspannung finden, so wie er es sich vorgestellt hatte. Doch müde und ausgelaugt von einer langen Reise beschloss er dennoch zu bleiben.
Alles, was sich seinen Augen darbot, war alt und verbraucht. Und so wie die abgegriffenen Tische und Stühle, wie der schmutzige Boden, die vergilbten Tapeten und die verstaubten Bilder, schienen auch die Gäste längst jene Zeit vergessen zu haben, in der man sich einmal um sie gekümmert hatte.
Gleichwohl war die Kneipe gut besucht.
Nach einem freien Platz Ausschau haltend ging er zwischen den eng aneinandergestellten und ebenso eng besetzten Tischen hindurch und blieb schließlich vor einem Tisch stehen, an dem ein einzelner Mann saß. Höflich fragte Promelkow ob er sich setzten dürfe. Der Mann schaute für einen winzigen Moment erstaunt auf, dann senkte er sofort wieder seinen Blick und nickte. So also nahm Promelkow Platz.
Von irgendwo presste sich ein Kellner hervor, nahm unfreundlich die Bestellung auf, und verschwand. Sein Gegenüber blätterte indes lustlos in einer Zeitschrift und schien an einem Gespräch nicht interessiert zu sein.
Der Kellner brachte das Bier, malte einen Strich auf den Deckel, und verschwand abermals. Promelkow trank einen Schluck und zündete eine Zigarette an. Dann lehnte er sich zurück.
Amüsiert betrachtete er einen Mann mit Hut, der, die Runde am Nebentisch, bestehend aus ihm selbst und drei jüngeren Frauen, hörbar und außerdem sichtlich schlecht unterhielt.
Der Mann sprach nicht, sondern er erbrach die Worte, formulierte Sätze in ständig folgende Nebensätze hinein und kotzte sie in fortwährender Belanglosigkeit aus. Eine der Frauen zerknibbelte Bierdeckel, eine Andere starrte mit glasigem Blick ins Leere und nuckelte dabei an ihrer Limonadenflasche.
Von der dritten Frau vermochte Promelkow nur den Rücken zu sehen, aber dennoch vermeinte er die Anspannung ihrer Genickmuskulatur regelrecht spüren zu können. Der Mann mit Hut erzählte von Winterreifen, von dem freundlichen Kellner eines Gasthauses und der Schmackhaftigkeit des Essens dort. Er erzählte von Karten für irgendein Musical und der Schwierigkeit sie zu bekommen und von diesem und jenem. Er verband seine Themen zu einer sinnentleerten Kette von Worten und verpatzte den Kern, den jede einzelne seiner Geschichten für sich genommen sicherlich einmal gehabt hatte. Zudem plapperte er nicht nur einfach vor sich hin, sondern er war um ständige Aufmerksamkeit bemüht und zertrat jeden zaghaften Versuch einer Unterbrechung. Promelkow lächelte.
+Bitte, schauen sie nicht dort rüber+, sagte eine leise Stimme ohne Betonung, ja sogar ohne Anführungszeichen, so als wäre sie es nicht wert überhaupt beachtet zu werden. Im gleichen Moment legte sich eine eiskalte Hand auf seinen Arm. Promelkow zuckte unwillkürlich zusammen. Erschrocken schaute er sein Gegenüber an. Nur mit Mühe unterdrückte er den Drang seinen Arm wegzuziehen, ihn von dieser kalten Hand zu befreien, und ihn damit wieder in seinen Besitz zu bringen.
+Wissen sie, ich muss den Lauf der Dinge für dieses eine Mal verändern, Herr Promelkow+, fügte der Mann vor ihm hinzu, und er bewegte dabei nicht einmal seine Lippen. +Sehen sie, der Mann dort mit Hut, er spürt ihren Blick, er ist schon drauf und dran aufzustehen um ihnen all das zu erzählen, was er immer wieder erzählt. Und wenn er dies tut, wird nicht das mehr geschehen, was gleich geschehen muss. Dann ändert sich der Ablauf, und ich kann nicht mehr ausführen, was ich auszuführen habe. Denn aus irgendeinem Grund sind sie an diesem Ort nicht vorgesehen, Herr Promelkow, und ich will ihnen sagen, dass dies das erste Mal ist, das so etwas passiert. Nun zugegeben, es ist auch das erste Mal, dass ich einen Auftrag dieser Art habe, und ich hoffe inständig, es wird kein zweites Mal geben+
"Woher kennen sie überhaupt meinen Namen und was für einen Auftrag?" Promelkow schaute erstaunt, und auch ein wenig ängstlich in die eisgrauen Augen des Mannes. Dieser lächelte und zuckte mit der Schulter.
+Ich kenne alle Namen+, sagte er. +Selbst Namen, die es längst nicht mehr gibt. Name von denen sie nicht einmal gehört haben. Und was den Auftrag anbelangt... Ach, warum soll ich es ihnen nicht sagen, denn eigentlich sind sie ja doch nicht hier+. Der Mann beugte sich etwas nach vorne und lächelte ein kaltes Lächeln in sich hinein. +Wissen sie, meine übliche Klientel redet nicht mit mir, wie sollte sie auch. Vielleicht tut es gut sich einmal unterhalten zu können+. Er beugte sich noch weiter nach vorne. +Die Frau dort, sie ist die Gattin des Mannes mit Hut, und sie leidet Qualen, die man sich nicht vorstellen kann. Ständig redet er und redet und lässt sie nicht zu Wort kommen. Immer muss sie sein Gequatsche ertragen, und wenn sie versucht sich auf etwas Anderes zu konzentrieren, beispielsweise zu lesen oder sich einen Film im Fernsehen anzuschauen, und auch wenn sie müde ist und schlafen will, dann zupft er an ihrer Schulter und redet auf sie ein. Jetzt ist sie betrunken. Und sie hat den alten Armeerevolver ihres Vaters in der Handtasche. Sie hat sich Mut angetrunken um ihren Mann gleich zu erschießen. Es soll hier passieren, vor allen Leuten. Denn es soll eine Hinrichtung sein und sie will dafür bestraft werden. - Sie ist keine Mörderin. Sie kann sich nur nicht weiter in die Ecke drängen, denn dort ist kein Platz mehr. - Ja, so komisch es klingt, aber sie würde ein Gefängnis als ihre Befreiung ansehen+, abermals lächelte der Mann sein kaltes Lächeln. +Na, wie dem auch sei. Ich muss diese Tat verhindern, denn die Zeit des Mannes mit Hut ist noch nicht abgelaufen+
Promelkow hatte sich dies alles mit wachsender Erheiterung angehört. Jetzt lachte er laut auf. "Dann sind sie sicher ein Schutzengel", sagte er.
+Nein! Der Mann mit Hut hat keinen Schutzengel. Kein Schutzengel würde diesen immerzu fortwährenden Wortschwall ertragen. Verstehen sie, der Mann muss reden. Sein Kopf ist voller Worte. Doch so sehr er sich auch bemüht, es werden nicht weniger. Würde man all die Worte, die er bislang gesprochen hat aneinanderreihen, so wäre das Ergebnis doch ein Nichts. Und würde man den Sinn seiner Worte zu einem Einzigen, alles umfassenden Sinn zusammenschmelzen, so wäre auch dies ein Nichts. Nein, dieser Mann ist einsam. Er hat nicht einmal einen Schutzengel. Er ist eingemauert in eine Gefängnis aus Worten, und je einsamer er sich fühlt um so stärker werden die Mauern.+
"Aber wer in drei Teufels Namen sind sie?"
"Ich bin der Kellner", sagte der Kellner, der an den Tisch getreten war und Promelkows nun leeres Glas an sich nahm. "Noch ein Bier? Hören sie, ich habe sie ein wenig beobachtet. Mit wem reden sie eigentlich? Dort ist doch niemand. Na mir ist es egal, nur machen sie bitte keinen Ärger! Aber gut, ein Bier bekommen sie noch."
Dann passierte alles rasend schnell. Die Frau sprang auf und riss dabei etwas aus ihrer Handtasche. Der Mann mit dem Promelkow gesprochen hatte stand plötzlich, wie aus der Luft erschienen, neben ihr und zerrte ihr den Revolver einfach aus den Fingern. Die Frau starrte auf ihre unerwartet leere Hand und sackte völlig gebrochen zurück in den Stuhl. Der Mann mit Hut schwafelte weiter, und außer Promelkow schien niemand etwas bemerkt zu haben.
Der Mann mit den eisgrauen Augen trat noch einmal an den Tisch, an dem ein nun aschfahler Promelkow saß.
"Wer sind sie", fragte Promelkow leise und bekam gleichzeitig Angst vor der Antwort.
+Ich? – Ich bin der Tod. Es war wirklich mal nett mit jemandem zu plaudern+, sagte der Mann. +Mit jemandem der auch zuhört.+
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