Nachtschicht mit Pipi Langstrumpf
Die letzte Nachtschicht.
Alle zwei Tage wechselt die Hälfte der Mannschaft. Ein über den anderen Tag ist somit auch der Thomas J. auf unserer Schicht. Er ist voll in Ordnung, dürfte so um die 40 sein. Aber er hat auch irgendwie etwas Komisches an sich.
Mit dem bedienen der Maschinen hat er es nicht so, was zum einen sicherlich an einem nicht so gut ausgeprägten technischen Verständnis liegt, und zum anderen daran, dass sein Vorarbeiter ihn deswegen zumeist in die Materialschleuse zum Aus- und Verpacken ordert.
Letzte Nacht war er mit mir im vorderen Bereich der Linie eingeteilt. Dort haben wir zusammen 5 Maschinen zu betreuen. Unter anderem die beiden Stopfenautomaten, in denen auf etwa 5 mm lange Kunststoffstöpsel O-Ringe mit 2 mm Durchmesser aufgezogen werden. Die fertigen Stöpsel benötigen wir für unser Hauptprodukt. Und mit eben diesen Stöpseln sind wir ziemlich klamm.
Etwa eine halbe Stunde nach Schichtbeginn kam mein Kollege Chris nach vorne.
„So“, sagte er und klatschte in die Hände, „der Danni hat gesaht, dass ich mit euch Stoppe fahre soll! Die Stoppeaudomaade solle ma mit zwo Mann fahre.“
„Aha“, sage ich, „ der Danni hat jo mol Ideeje.“
Nun waren wir also zu dritt, wo man zu zweit sich schon oft die Arbeit gegenseitig abnahm.
Es nahte die Zeit Kaffeepause.
„ Seebär, gehen ma in die Paus?“ fragte Chris.
„ Ei nadeerlich!“ antworte ich.
Wir geben dem Thomas ein Zeichen und Dackeln in Richtung Personalschleuse.
Kaum das wir mit unserem Kollegen Andre richtig im Pausenraum sitzen, kommt Vorarbeiter Danni und streckt seinen Kopf durch die Tür.
„Den Sinn davon dass na mit drei Mann vorne sinn is euch ja geläufich!?“ sagte er, mich anblickend.
„Jo, so sinn ma ruckzuck mit der Pausenablösung ferddich unn dann schnell widder zu dritt an da Stoppe.“ antworte ich.
„Noher geh na enzeln.“ sagt er und dreht sich zum gehen.
„Jaja.“ Sage ich und die Tür fällt zu.
„Vollidiot!“ meint André.
„Schwachkopp!“ sage ich.
„Blödmann!“ meint Chris.
„Der kritt das ähnfach net off die reih, dass ma mit dem Dreier do vorne nix guttmache.! Das bringt gar nix!“ sage ich.
„Wahrscheinlich hat er gesiehn, wie beim Thomas drei Station am Stoppautomat rot ware, unn jetzt wird der schon nervös!“ meint André.
Als wir wieder in die Linie kamen hatte der Thomas natürlich alles gut im Griff.
Thomas ist schon etwas komisch, was sich darin äußert, dass er ständig pfeift. Und zwar immer dieselbe Melodie. Über Jahre war es immer dieselbe Dreiton-Melodie.
Ti-taa-taa-taaa.
Immer. Alle paar Minuten dieser Dreiklang.
Seit ein paar Wochen jedoch hat er ein neues Lied.
Pipi Langstrumpf!
Und zwar immer nur bis zu der Stelle „..die macht was ihr gefällt.“
So auch während dieser Schicht. Egal wo und zu welcher Uhrzeit oder bei welcher Tätigkeit man dem Thomas begegnete, es erklang Pipi Langstrumpf.
Irgendwann gegen 5 Uhr morgens hielt ich es dann nicht mehr aus. Ich ging für ein paar Minuten an das andere Ende der Linie.
„Wasn loss?“ fragte mein Kollege Engel, als ich bei seinem Automaten ankam.
„Wenn der Thomas net ball offhehrt Pipi Langstrumpf zu peife, dann duhn ich ne knebele!“ drohte ich.
Engel grinste. „Wat peift der? Pipi Langstrumpf?“
„Schon die ganz Naacht! Von geschter Owend zehn Uhr bis jetzt Pipi Langstrumpf, an ähner Tour! Ich genn do vorne ball bekloppt.“ Klagte ich.
„Der hat Samestau!“ meinte Engel, der mit Thomas schon einmal auf der einen oder anderen Ü-30-Party war und wusste, dass Thomas schon eine sehr sehr lange Zeit Single war.
„Dann soll er sich mol ens suche.“ sagte ich.
„Der müsst mo an so e richdiches Luder gerohde, wo ne anstännich fordert!“ sagte Engel.
„Jo damit der sich mol widder richtich freischießt. Dann hört das mit dem Peife vielleicht mol uff. Oder vielleicht wechselt wenigstens mol die Melodie.“ sage ich und kehre zurück zu meinen Maschinen und dem pfeifenden Thomas.
Noch ne dreiviertel Stunde und das Drama Nachtschicht ist vorbei.
Ich muss kurz in die Materialschleuse.
Hier sehe ich neben vier meiner Kollegen auch unseren Herrn Vorarbeiter, die offensichtlich schon geraume Zeit in gemütlicher Runde klönen.
„Hann ihr nix zu duhn?“ frage ich übertrieben ernst. „Wenn eich langweilich is, dann könne ner rinnkomme, am Stoppeautomat könne mir immer Leit gebrauche. Falls dort schon zu viel Betrieb is, könne ner aach an die Deckeldrucker, denn die bedruckte Deckel sinn das nächschde was uns ausgeht.“ sage ich und blicke dabei den Herrn Danni an, der im Übrigen während dieser Nachtschicht insgesamt vier Stunden durch Abwesenheit glänzte, und den Rest der Schicht vor dem PC saß und Emails las.
Als wieder zurück in die Produktion gehe, beschließe ich, dass der Danni sich beim nächsten Chargenwechsel dumm und blöd rechnet, und ich dafür sorgen werde, dass die Chargenmappe nicht stimmt.
„Der Danni hat gemennt, mir hätte jo doch gutt stoppe gefahr.“ Sagte Chris, als ich wieder reinkam.
„Die hätte mir aach zu zwott gefahr, ohne das ma sich stännich in de Fieß rumlaaft.“ sage ich.
„Gutt das gleich Feierowend is!“ meint Chris.
Um fünf vor sechs gehe ich demonstrativ am Vorarbeiterraum vorbei in Richtung Schleuse. Danni schaut mich blöd an. Ich winke ihm und verschwinde durch die Tür.
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