Der brave Soldat S. oder: Wenn Ande ins Manöver zieht 1
Wer beim Bund war hat immer irgendeine Geschichte zu erzählen. Vieles erlebt man während der Zeit der Grundausbildung, oder in den Monaten danach auf den Schießbahnen oder Übungsplätzen.
So geschah es, das auch der brave Obergefreite S. sich eines Tages auf dem Truppenübungsplatz Baumholder wieder fand. Zusammen mit seinen ganzen Kameraden vom Fallschirmjägerbatallion 261. Wie kaum anders zu erwarten wurde das Manöver wettertechnisch günstig in den Herbst gelegt. Es war nass, kalt und ungemütlich, also perfekt um tagelang in einem Biwak zu verbringen und im Wald rumzukrauchen. „Jägerwetter“ hieß das.
Die Tage auf dem Übungsplatz verliefen unspektakulär. Angriff, Verteidigung, Späh- und Stoßtrupps und Panzerabwehr wurden geübt. Unsere Kompanie zeichnete sich durch die heroische Eroberung einer Höhe 08/15 aus.
Das Ende des Manövers zeichnete sich ab, keiner schien mehr so richtig Lust zu haben, ausser natürlich den hohen Herren der Chefetage, die der Meinung waren, man müsste am letzten Manövertag noch einen Spähtrupp auf den Weg schicken, um eine Artilleriestellung aufzuklären. Wen traf es? Natürlich, die Gruppe S.
Der Obergefreite S., seines Zeichens Gruppenführer, wurde in den Gefechtsstand gerufen, damit man ihm die frohe Botschaft verkünden konnte.
„Obergefreiter S. meldet sich wie befohlen!“ Zackig kam die Meldung, denn die Herren Oberfallschirmjäger stehen auf so was.
“S., sie müssen eine Artilleriestellung aufklären. Ihre Gruppe wird mit einem Fahrzeug zu diesem Punkt gebracht.“ Die Finger unseres Hauptmanns strichen über die Karte.
„ Sie gehen durch die feindlichen Linien, klären die Stellung auf und kehren anschließend nach hier zurück. Sie bewahren Funkstille. Erst wenn sie wieder am Treffpunkt sind nehmen sie Funkkontakt auf, damit wir sie wieder abholen! Noch Fragen?“
„Jawohl. Wann sollen wir losgehen?“
„ Jetzt gleich natürlich“ war die Antwort.
„Jetzt gleich?“ Der Obergefreite S. klang ziemlich entsetzt.
„ Natürlich jetzt!“ Haben sie ein Problem damit?“ Des Hauptmanns Stimme hatte einen klitzekleinen, unschönen Unterton.
„Naja, heute ist letzter Tag.“ gab der OG S. zu bedenken.
„ Jaaaa, richtig! Sie haben also keine Zeit zu verlieren! WEGTRETEN!“ Der unschöne Unterton hatte eindeutig die Überhand jetzt.
“Wasn mit dir?“ fragte der Gefreite Lüders, als OG S. zu seiner Gruppe zurückkam.
„Packend eier Krempel, mir laafe e Spähtrupp!“
„ Jetzt?“ die Bestürzung war unüberhörbar.
„JO JETZT!“ bestätigte S. genervt. „Kein Gepäck. Mark und Ingo, ihr nehmt jeder noch Mun mit fürs MG.“
„ Solle mir jetzt die ganz Zeit die Mun-Kischde schleppe?“ fragte der Gefreite Mark.
„Mann, stelle ihr eich ahn! Näää, nadeerlich net! Holle die Gurte raus unn hänge se eich um! Ma mennt grad ihr mache so was zum erschdemol! Halle jetz bissje droff, in zehe Minutte fahre ma ab!“ sagt OG S.
Kaum eine viertel Stunde später kam ein Unimog auf dessen Pritsche die sechs Mann der Gruppe S. Platz nahmen. Kreuz und quer ging es über den Übungsplatz bis der Unimog irgendwann und irgendwo hielt und alle abstiegen. Wie bestellt fing es an zu nieseln.
„Klasse!“ knurrte S.
Die Gruppe verzog sich ins Unterholz, wo OG S. seinen Männern noch einmal die Aufgabe erklärte, die Vorgehensweise und letztendlich die Richtung in die sie sich bewegen mussten.
Niesel und Nebel, der immer dichter wurde. Beschissener konnte das Wetter nicht sein. Jeder maulte vor sich hin, mal laut mal leise.
Zu allem Unglück hatte sie sich auch noch verlaufen, was dem OG S. nicht gerade Lob von seinen Kameraden einbrachte, denn er war derjenige mit Karte und Kompass.
“Reche mich bloß net uff. Ich hann aach kään Bock mehr zu laafe wie unbedingt notwennich.“ versuchte sich S. zu entschuldigen. „ Do geht’s lang!“
Der Nebel wurde immer dichter, und nur durch Zufall bemerkten sie, dass sie aus dem Wald auf eine Lichtung getreten waren.
Plötzlich war ein Plumpsen zu hören und ein „Scheiße!“
Der Gefreite Ingo war hingefallen.
„ Fallsche üwwer die eigene Fies?“ frotzelte der Gefreite Mark.
„Ich bin üwwer das Kabel do gstolpert!“ erklärte der Gefreite Ingo in aller Ruhe den Umstehenden.
Alle sahen sich an, und wie auf ein telepatisch gegebenes Kommando hechtete jeder in irgendeine Deckung. Auf dem Bauch liegend sicherte jeder in eine andere Richtung.
Schemenhaft erkannte man im Nebel die Artilleriegeschütze. Sie befanden sich mitten in der feindlichen Stellung.
“Zereck in de Wald!“ befahl S., und alle sprangen auf und rannten zu den Bäumen und gingen dort in Deckung.
„ Unn jetzt?“ wollte der Gefreite Ingo wissen.
„Äääää...“ der Gefreite S. dachte laut nach. Dann flüsterte er:
„Ihr verteilt euch hier etwas hinter den Bäumen, Jochen und ich sehen uns die Stellung an. Wenn wir in einer halben Stunde nicht da sind, geht ihr zurück zu dem Treffpunkt. Asch jo: Unn wenn se uns schnappe, dann mache ner bißje Krach mim MG. Dann brauche ner ach die ganz Mun net mit reduhr ze trahn!“
Die Stellung schien verlassen. In aller Seelenruhe machte sich der OG S. seine Notizen und Skizzen. Nach zwanzig Minuten waren sie wieder bei den anderen.
„ So, jetz ab unn zwar jalla!“
Wieder gingen sie durch den Wald. Zum Treffpunkt war es etwas weiter, als erwartet. Es fing wieder an zu nieseln. Irgendwann nach einer Ewigkeit. kamen sie an einen Weg.
Der Obergefreite S. sah auf die Karte.
„ Äääääh, mir geh uff dem Wäch weida!“ entschied er.
“ Das dürfe ma doch net!“ gab der Gefreite Ingo zu bedenken.
„Wenn ich das sahn, dürfe mir das! Ausserdem hann ich jetzt kään Bock meh!“ brummte der OG S.
Sie gingen auf dem Weg weiter. Irgendwann kamen sie an eine offene Schranke mit einer Hütte dabei. Diese Schranke war geschlossen und das Wachhäuschen besetzt, wenn die Artillerie in das Übungsgelände schoss. Damit niemand unverhofft in einen Feuerschlag latschte oder fuhr.
Sie gingen in die Hütte um sich vor dem nun einsetzenden Regen zu schützen. Die Einrichtung bestand nur aus einem Tisch mit vier Stühlen. Dort ließen sie sich erstmal häuslich nieder.
„Funk mol unser Verein ahn. Mir wäre zum Abholle!“ befahl S. Lüders.
Gebannt starrten alle auf Lüders, der erfolglos versuchte Leben in das Funkgerät zu bekommen.
„ Geht net!“ stellte er resignier fest.
„ Ei klasse!“ knurrte S. „Das hat jo misse komme!“
Warten oder weiterlaufen? Da es immer noch regnete, entschied man sich zu warten und schimpfte währenddessen auf das Wetter, die Bundeswehr und den Auftrag!
Plötzlich kam der Ruf: „ Da kommt ein Fahrzeug!“:
Tatsächlich sah man in einiger Entfernung einen „Iltis“ kommen.
„Den schnappe ma uns !“
Sie schlossen die Schranke und versteckten sich links und rechts der Straße im Gebüsch.
Der „Iltis“ musste anhalten. Just in dem Moment als er gestoppt hatte, sprangen sechs Fallschirmjäger aus dem Gestrüpp rissen links und rechts mit viel Gebrüll die Türen auf.
Der Fahrer sah sich plötzlich sechs Gewehrmündungen gegenüber.
Ein vollkommen perplexer Major saß im Fahrzeug. Einer der Manöverschiedsrichter.
„Wer sind sie denn?“
Der Obergefreite S. drückte sein Kreuz durch und machte Meldung.
„Gruppe S., zwoter Zug, dritte Kompanie Fallschirmjägerbatallion zwo einundsechzig auf dem Rückmarsch vom Spähtrupp.“
„Ah ha!“ meinte der Oberst. „Wo haben Sie denn ihre Aufklärungsergebnisse, Obergefreiter? Mal her damit!“
S. reichte dem Major seinen kleinen Block mit der Skizze der Stellung und zeigte ihm die Lage der Stellung auf der Karte.
„Wunderbar!“ meinte der Major. „Bleiben Sie hier, ich schicke ihnen jemand, der sie abholt.“
Der Major fuhr ab und ließ die Sechs zurück. Die gingen wieder in das Häuschen und warteten. Und froren. Irgendwann wurde es ihnen zu bunt und zu kalt, und sie begannen zwei Stühle zu verbrennen, um ein bisschen Wärme zu bekommen. Nur gegen den Hunger hatten sie nix.
Irgendwann dann wieder der Ruf: „Da kommt ein Fahrzeug!“
Ein Bulli kam angefahren.
„Allé Hopp! Das selwe Spielche wie vorhin! Der is uns! Is mir jetzt scheißegal wer do drin huckt!“
Der Bulli stoppte an der Schranke, sechs wildentschlossene Fallschirmjäger sprangen aus der Deckung, rissen die Türen des Bullis auf, plärrten alle irgendetwas durcheinander, und verstummten urplötzlich.
„ Was isn mit eich los? Hann ihr se noch all?“ Der Stabsfeldwebel war sichtlich irritiert.
„Ooach, Herbert!“ frohlockte S., „Du bisch unser Rettung!“
Der Stabsfeldwebel war aus ihrer Einheit.
„Kannsch du uus mitholle?“ fragte der OG S., der einen seiner Nachbarn aus seiner Straße vor sich hatte.
„Dudd mir lääd, ihr Buwe, awwa ich hann Esse hinne im Bussje. Das muss ich in die Stellung bringe!“ entschuldigte sich der Stabsfeldwebel.
Essen! Das Herz der Sechs hüpfte!
„Das brauchsche gar net groß durch die Gechend zu fahre. Mir sinn am Verhungere!“ sagte S.
„Do degeje kenne ma was mache!“ meinte Herbert. „Hucke eich schommo ins Heisje!“
Keine zwei Minuten später klatschten je zwei Schnitzel pro Mann auf den nackten und schmutzigen Tisch im Wachhäuschen. Die Sechs fielen darart darüber her, dass sämtliche Hyänen der Serengeti sich vor Scham umgedreht hätten.
„Bleiwe do, ich schicke eich jemand der eich abholt.“ versprach er.
„Jo, jo. Das hat der Major Schiedsrichter vor zwei Stunn aach schon gesaat!“ winkte S. ab.
„Wersch siehn, in ner stunn sinner dehähm!“ versprach der Stabsfeldwebel erneut und fuhr ab.
Und tatsächlich! Keine Stunde später kam wieder ein Fahrzeug. Diesmal standen die Sechs an der Schranke und warteten einfach ab, bis die Karre vor ihnen stand.
„Willkommen an Bord ihres y-Tours-Busses!“ scherzte der Gefreite am Steuer.
„Schwetz net! Fahr!“ sagte S und ließ sich in den Beifahrersitz fallen.
Ein Gutes hatte der Tag dann doch!
Aufgrund der Aufklärungsergebnisse ihres Spähtrupps, musste die Artillerie noch kurz vor Manöverende einen Stellungswechsel machen. Und wer weiß, wie bequem die Herren Bumsköppe sind, der kann sich vorstellen, wie froh die an dem Tag darüber waren.
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