Gipfeltag – 5. Die Rückkehr
Die Rückkehr
Das Blatt hatte sich zu meinen Gunsten gedreht. Ich hatte jetzt sehr gute Chancen das Hochlager zu erreichen. Vom Mushroom Rock war ich nach meiner Schätzung eine gute halbe Stunde entfernt. Eine neue Flasche musste ich dort nicht mehr holen, mit dieser Flasche kam ich auf jedenfall bis zum Hochlager 4.
Ich war erschöpft, aber heilfroh dass ich jetzt wieder „einen richtigen Weg“ hatte. Die Dämmerung hatte eingesetzt und ich hielt an um meine Kopflampe wieder aufzusetzen. Dabei kam mir der Gedanke, dass ich eine zeitlang bewusstlos gewesen sein musste, denn als ich am Second Step war es kurz vor elf, oder so.
Na egal, ich war schon eine ziemlich lange Zeit in der Todeszone und es wurde Zeit das ich hier wegkam. Das bedeutete, dass ich nicht in Lager 4 auf 8200 m oder Lager 3 in 7900 m bleiben konnte, sondern absteigen musste nach Lager 2 auf 7500 m.
Lager 2 lag auf einer langen verschneiten Kammlinie. Immer noch über 7000 m Höhe, aber hier war die Chance doch noch die Höhenkrankheit zu bekommen geringer, als weiter oben.
Aber bis dahin war es noch ein langer Weg. Ich kam gerade an der Felshöhle mit „Green Boots“ vorbei. So langsam machte sich Müdigkeit in mir breit. Die letzten Stunden waren ziemlich anstrengend. Von der Uhrzeit her dürfte ich der letzte in dieser Höhe auf dem Berg sein. Die Knie taten mir weh, und meine beidseitige Hüftgelenksdysplasie war auch nicht sonderlich froh über diese Tortur. Aber es nutzte nix, ich musste nach unten. Immerhin ging es ja bergab.
Vor mir tauchte der First Step auf. Er bestand aus groben Felsblöcken und war nur aufgrund der Höhe über dem Meer ein Hindernis. Ich wurschtelte mich irgendwie nach unten. Dabei war ich heilfroh, dass es dunkel war, denn besonders professionell hat es sicherlich nicht ausgesehen.
Ich hatte Durst ohne Ende. Meine Kehle war knochentrocken. Das rührt zum einen von der Höhe, zum anderen vom Atmen des Sauerstoffs, der bei der Produktion all seine Feuchtigkeit entzogen bekommt. Dadurch trocknete er die Mundschleimhaut aus.
So trottete ich dahin. Immer weiter nach unten. Nur hin und wieder blickte ich vom Boden auf um mir einen Überblick zu verschaffen.
Plötzlich stand ich vor zwei Männern. Ich erschrak mich zu Tode!
„Andy?“ sagte eine Stimme. „Thangbu?“ (Wie geht es dir?)
Es war Lhopsang, zusammen mit Tenzing.
„Komba lasung!“ antwortete ich. Ich habe Durst.
Das Englisch vor allem von Tenzing war nicht sonderlich gut. Aber er hatte mir ein paar Brocken Sherpa beigebracht. Ich mag es, wenn man sich in einem fremden Land in der Landessprache etwas verständigen kann, und die Sherpas mögen es, wenn man sich für ihre Kultur interessiert. Während der Wochen des Aklimatisierens hatte man dafür jede Menge Zeit und konnte sie so sinnvoll nutzen.
Ich setzte mich in den Schnee und bekam von Lhopsang einen Becher gereicht.
Darin war Buttertee, jene für uns gewöhnungsbedürftige, wie eine dünne Brühe schmeckende Zubereitung aus Tee und Yakbutter. Die Erinnerung an meine erste Begegnung mit Buttertee verdrängte ich bei den ersten Schlücken. Er regt unter anderem die Verdauung an, was bei uns verweichlichten Mitteleuropäern fatale Folgen haben kann. Aber er war wie eine Geheimwaffe, die dem Körper Wärme, Flüssigkeit, Proteine und Fett zuführte.
Etwa 20 Minuten rast gönnten mir die beiden, dann ging es weiter. Vor mir Lhopsang, hinter mir Tenzing. So buchsierten sie mich durch die Exit Cracks. Als nächstes folgte Hochlager 4. Da das Gelände ziemlich ausgesetzt war und ich sehr erschöpft, nahmen mich die Beiden ans kurze Seil.
Als wir im Hochlager 4 ankamen war nur noch Dorje dort. Die anderen Sherpa und die Kunden stiegen nach dem Gipfelgang stets so weit ab wie möglich, um in eine geringere Höhe zu kommen.
Der gute Dorje begrüßte mich überschwänglich. Er war sehr froh, dass „sein Kunde“ noch am Leben war. Die Sherpa werden von den Anbietern angestellt. Und es wirft ein schlechtes Licht auf einen Sherpa, wenn „sein Kunde“, für den er am Berg die Verantwortung hat, dort oben umkommt. Es besteht dann die Gefahr, dass er in der nächsten Saison nicht mehr genommen wird und er unter Umständen kein Einkommen hat.
Von Lhopsang über meinen Hunger informiert, hatte Dorje ein paar Momos aufgewärmt, diese gefüllten Teigtaschen, an denen ich mich totfressen könnte.
Während ich im Schnee saß und aß, packten Dorje, Lhopsang und Tenzing den ganzen Kram zusammen. Ich bekam jetzt auch wieder ein funktionierendes Funkegrät und konnte mich zum erstenmal seit Stunden wieder mit Norman unterhalten. Der beglückwünschte mich zur Wiederauferstehung. Er wollte, dass ich auf jedenfall zu Lager eins auf dem Nordsattel auf 7000 m absteigen sollte. Notfalls sollten mich die Sherpas tragen.
Auch Sabrina befürwortete diesen Abstieg, zumal sich bei mir dann doch die ersten Anzeichen von Erfrierungen zeigten. Das bedeutete noch eine Abstieg von 1200 Höhenmetern. Ich war nicht gerade begeistert davon. Ich hatte das Hochlager 4 erreicht, das war mein Ziel. Die Motivation für ein Weitergehen war im *****.
„ Andy, let`s go.“ drängte Dorje.
“Bullshit!“ knurrte ich, stand auf und stapfte Dorje hinterher.
Irgendwann im Laufe der Nacht tauchte das Nordsattel-Lager unter uns auf.
Unsere bevorstehende Ankunft hatte sich herum gesprochen und es gab ein großes „Hallo“ und Schulterklopfen. Ich verkroch mich ziemlich schnell in mein Zelt. Zum erstenmal seid zig Stunden die Maske vom Gesicht ziehen, die Handschuhe und die Schuhe aus. Außer dem rechten kleinen Finger, an dem sich eine Kälteblase gebildet hatte, war es gar nicht schlimm. Nichts was mich irgendein Körperteil kosten könnte. Ich massierte etwas die Füße um die Durchblutung anzuregen und verkroch mich dann in meinen Schlafsack.
Viel Schlaf wurde mir allerdings nicht gegönnt. Der weitere Abstieg ins Basislager stand an. Gegen 10 Uhr machte sich unsere Karawane aus Kunden auf den Weg. Die meisten Sherpas blieben noch oben. Ihre Aufgabe bestand darin die Hochlager abzubauen.
Im Basislager auf 5300 Meter, wurde wir mit viel Applaus begrüßt. Wir gehörten jetzt zu einer exklusiven Gruppe von Menschen, die auf den höchsten Berg der Erde gestiegen sind und wieder zurückgekehrt sind.
Mein erster Gang nach dem Händeschütteln und Glückwünschen war in die „Praxis“ unserer Ärztin. Sie wollte meine Hände und Füße sehen.
„Nur die Füße?“ frotzelte ich, nachdem ich in das Zelt eingetreten war.
„ Nach einer Woche oben am Berg werde ich von einer „tiefergehenden“ Untersuchung absehen.“ grinste sie.
„Wirklich ein Jammer.“
Mein Körper sah aus, als wäre er von irgendeinem Witzbold grün, blau und lila angemalt worden. Ich war übersät mit Blutergüssen, einen ziemlich großen an meiner Hüfte.
„ Die Erfrierung am Finger ist nicht so tragisch. An der Hüfte das ist nur eine Prellung, da machen wir etwas Salbe drauf gegen den Bluterguss. Falls du Schmerzen hast, kann ich dir was geben, wenn du möchtest. Vorher gehst du aber duschen!“ sagte sie.
Ihr Wunsch war mir Befehl und so machte ich mich auf das Duschzelt ausgiebig zu nutzen.
Abends gab es noch eine große Party im Basislager, die von mehreren Anbietern organisiert wurde. Es war der Abschluss der Saison.
In Gesprächen mit den anderen, jeder wollte natürlich meine Story hören, war herauszuhören, dass ich so etwa 70 Meter die Nordseite herunter gefallen sein musste.
Ein Wunder eigentlich, dass ich mir nicht mehr geholt hatte als ein paar Prellungen und jede Menge Blutergüsse. Ich hatte ein Wahnsinnsglück gehabt!
Am nächsten Morgen wurde gepackt und die Rückreise angetreten.
Eine Woche später betrete ich die Bäckerei in unserem Ort.
Als wäre die Zeit stehen geblieben stand dort dieselbe Bäckereifachverkäuferin, wie am Tag meiner Abreise, vor 70 Tagen. Die Tatsache, dass sie die letzten Wochen nichts anderes gemacht hatte als Brötchen und Brot zu verkaufen, machte mir deutlich, welch ein Privileg es war diese Reise zu machen.
Diese Reise hatte mich einen Bausparvertrag, mein ganzes Erspartes und fast mein Leben gekostet. Im Gegenzug bekam ich die stärkste Erfahrung und einmalige, unvergessliche Erinnerungen.
Würde ich so etwas wieder machen?
Jo!
Keinen Achtausender mehr, und keinen Everest mehr.
Aber in 2011 werde ich vierzig. Es gibt da einen Anbieter der den Island Peak ( 6189 m ) und Lobuche Peak ( 6119 m ) anbietet. Oder eine Annapurna - Umrundung.
Mal sehen…
Vorerst geht’s gemächlicher im Gebirge. Diesen Sommer geht’s in meine 2. Heimat, die Steiermark. Zum gemütlichen Klettersteig-Gehen.
Übrigens, die Eisschrauben, die habe ich noch!
© ande71
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