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Alltagswahnsinn

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Gipfeltag - 3. Katastrophe


ande71

780 Aufrufe

Katastrophe

Benommen öffnete ich meine Augen und blickte in einen strahlend blauen Himmel. Ich atmete schwer unter der Sauerstoffmaske und mein Herz raste wie verrückt.

Ich war abgestürzt! Ich war tatsächlich abgestürzt! Ich war die Nordflanke des Mount Everest abgestürzt!

„Scheiße!“ brüllte ich. „So ein Scheißdreck!“

Ich hätte heulen können!

„Ich habe 25000 Euro bezahlt um wegen so einem Idioten den Abgang zu machen!“ brüllte ich. „Scheißdreck verdammter!“

Ich blickte gen Himmel und konnte es einfach nicht fassen.

Langsam begann ich mich zu bewegen.

„Aaaaahh“ Hau mir ab!“ keuchte ich.

Mir taten sämtliche Knochen weh. Ich war noch am Leben, aber wenn ich mir etwas gebrochen hatte war ich definitiv geliefert. Eigentlich war ich das sowieso schon.

Außer Schmerzen in der Hüfte und einem Brummen im Kopf war alles andere auszuhalten. So wie es aussah hatte ich keine Knochenbrüche, nur Prellungen.

Mein Blick fiel auf ein weiteres Beinpaar, das definitiv nicht zu mir gehörte. In einem dieser Beine steckte mehrere Zacken meines rechten Steigeisens. Die Beine gehörten dem dämlichen Chinesen der tot und eigenartig verrenkt unter mir lag. Den Eispickel hatte er immer noch in der Hand. Komischerweise war mir sein Tod in dem Moment vollkommen egal.

„Du bisch vielleicht e Vollidiot!“ entfuhr es mir. Ich hob meinen rechten Fuß an um das Steigeisen aus seinem Bein zu ziehen.

Wenn er nicht schon tot gewesen wäre, hätte ich ihm am liebsten den Hals umgedreht. Mit dem Eispickel hatte er wahrscheinlich das Fixseil gekappt, und wir waren beide aus dem Seil gerutscht. Eigentlich sollte meine Seilklemme so was verhindern. Egal jetzt. Die Katastrophe war da!

Ich begann mich umzusehen. Rechts von mir ging es bergab mit etwas 60 Grad Hangneigung, links von mir steil bergauf. Es war über mir niemand zu sehen. Die Stelle lag ungünstig und war wohl auch von oben nicht einzusehen. Mal ganz davon abgesehen hatte ich keine Ahnung wie weit ich den Hang abgerutscht war.

Ein Felsvorsprung hatte unseren Sturz aufgehalten. Der Körper des Chinesen hatte meinen Fall abgefangen, worüber ich sehr froh war.

Ich rief nach Dorje, bekam aber keine Antwort.

Was jetzt??? Wie kam ich aus dieser beschissenen Situation wieder raus?

Im Liegen checkte ich meine Ausrüstung. Klettergurt und Sicherungsseil waren noch intakt. Ebenso die Seilklemme. Jetzt könnte sich mein Schiss im Vorfeld der Expedition auszahlen. Ich hatte mir zuhause zwei Eisschrauben gekauft, das Stück für 35 Euro. Sie waren gedacht als zusätzliche Sicherung für den Fall das ich mich einmal zusätzlich sichern musste oder wollte. Ich hatte sie an den Schultergurten meines Rucksacks befestigt. Dorje und die anderen waren der Meinung es sei nur unnötiges Gewicht, das ich mit mir rumschleppte. Jetzt waren diese sündhaft teuren Teile Gold wert! An jeder war bereits eine Bandschlinge befestigt, in die man den Karabiner einhängen konnte. Ich schraubte sie in das Eis und hängte den Karabiner ein. Zumindest konnte ich jetzt nicht weiter die gesamte Flanke runter rutschen. Mein sicherer Tod wurde somit etwas weiter in die Zukunft gerückt, wenn auch wahrscheinlich nicht all zu weit.

Es war Zeit sich bei Dorje oder dem Expeditionsleiter zu melden, und zu sagen, dass ich noch am Leben war. Am Spiralkabel meines Funkgerätes hing allerdings ein völlig zertrümmertes Mikrofon.

„Na klasse!“ knurrte ich. Ich kam mir vor wie im falschen Film.

Langsam kam auch Panik in mir auf. Es war auch die beste Gelegenheit dazu!

Ich saß hier in gut achteinhalb Tausend Metern Höhe auf der Leiche eines Chinesen, an so ziemlich der beschissensten Stelle an der einem so etwas passieren darf, ohne Seil, ohne Haken, ohne Möglichkeit der Kommunikation und mit zur Neige gehendem Sauerstoff. Ich zwang mich Ruhe zu bewahren.

„Bleib ruhig und denk nach!“

Eine Bergung schied vollkommen aus. Ein Hubschrauber kommt mit Ach und Krach gerademal auf die Höhe des Basislagers. Eine Bergung von oben schied auch aus. Für so eine Aktion sind mehrere Männer notwendig, die sich stundenlang in der Todeszone aufhalten müssten. Das war ein Menschenleben hier oben nicht wert. Dieses Risiko ging keiner ein!

Das hier hätte einfach nicht passieren dürfen! So etwas war hier oben schlichtweg verboten!

Wenn ich hier wieder weg wollte musste ich nach oben, zurück auf die Route. Ohne Seilsicherung ein Himmelfahrtskommando. Ich hatte keine große Erfahrung mit Eisklettern. Ich hatte so was noch nie gemacht. Schon gar nicht alleine und ohne Sicherung. Wenn mir dann noch der Sauerstoff ausgeht und der Verstand nachlässt war es sowieso aus. Ich regelte den Sauerstoff runter und begann mich auf dem Chinesen rumzudrehen. Ich schaffte es mich irgendwie neben ihn zu knieen und begann seine Ausrüstung zu untersuchen. Als erstes nahm ich ihm den Eispickel ab. Den konnte ich beim Aufstieg zusammen mit meine eigenen gut gebrauchen. Ein Funkgerät hatte er keins dabei.

„War jo klar!“ knurrte ich.

Das war blöd, aber im ABC, dem vorgeschobenen Basislager, schaute Norman, der Expeditionsleiter für gewöhnlich während der Gipfeltage ständig durch ein Teleskop um die Mitglieder seiner Expedition im Auge zu behalten. Möglicherweise war er Zeuge des Vorfalls gewesen. Es konnte sein, das man wusste dass ich noch am Leben war.

Ich fand im Rucksack des Chinesen noch eine volle Sauerstoffflasche, die sogar von derselben Sorte war wie die unserer Expedition. Das bedeutete extra Sauerstoff für gut acht Stunden für mich. Die Flasche aus der der Chinese aktuell den Sauerstoff atmete war auch noch so gut wie voll. Er musste sich beide Flaschen am Mushroom Rock geholt haben. Egal wie, es würde mir helfen. Ich nahm auch diese Flasche und steckte sie zu der anderen in meinen Rucksack. Meine eigene Flasche hatte ich zwischen die Beine gestellt. Ich setzte mich und lehnte mich zurück an den Hang.

Bis jetzt hatte ich nichts weiter als einen Strohhalm an den ich mich klammern konnte.

Aber immerhin.

Mir war etwas kalt. In meiner Thermosflasche befand sich noch Tee. Ich trank etwas davon und aß einen Energieriegel.

Ich musste versuchen in einer der vereisten Rinnen bis nach oben zur Route zu kommen. Dort war der Weg durch die Fixseile markiert und gesichert, und die Chance auch groß andere Bergsteiger zu treffen mit denen man absteigen konnte. Es war meine einzige Chance!

Mein Blick fiel auf den Chinesen. Irgendwie tat er mir ja dann doch leid. Möglichweise hatte ihn mein Aufprall sogar getötet. Ich untersuchte seine Taschen nach persönlichen Papieren und steckte sie in meine Tasche.

Ich wechselte die Sauerstofflasche und nahm meinen eigenen Eispickel aus den Rucksackschlaufen. Dann zog ich den Rucksack an und stellte mich langsam auf die Füße. Den Sauerstoffregler hatte ich auf 2,5 Liter pro Minute eingestellt.

Ich stellte mich hin und blickte nach oben. Gut 20 Meter ging diese Eisrinne noch nach oben. Weiter konnte ich nicht sehen. Mit einem mulmigen Gefühl löste ich den Karabiner aus der Eisschraube und schraubte sie aus dem Eis heraus. Auf keinen Fall wollte ich sie zurücklassen. Vielleicht konnte ich sie noch gebrauchen.

Dann begann ich hochzuklettern.

© ande71

6 Kommentare


Empfohlene Kommentare

Gast Pittiplatsch

Geschrieben

Absolut derb, erschlägt nen Chinesen und beschimpft ihn auch noch, ei saa mool.:altes-lachen

Dassmer sein Glück nicht ständig rausfordern sollte ist dir hoffentlich schon bewusst, oder?:zwinker-alt:

ande71

Geschrieben

ääähm, es war ja nur einer.

Gast Funny08

Geschrieben

Echt der Wahnsinn ... und das in vielerlei Hinsicht!

Ist spannend zu lesen und ich erwarte den Bericht vom Ausgang der Expedition, auch wenn ich weiß, dass du der Hölle entronnen bist ... aber wie?

Naja, das mit dem Chinesen ist schon traurig, aber ist er nicht selbst dran schuld?

ande71

Geschrieben

Und ob der selbst dran schuld war!

Gast Pittiplatsch

Geschrieben

Andreas du bisch echt der Gipfel, meine Hochachtung hast du jedenfalls!:altes-lachen:altes-lachen

malgucken

Geschrieben

Weiter!

Ich möchte weiter lesen!:)

Bitte, Andreas, lass uns nicht lange Warten mit dem Fortgang der Expedition.;)

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    • Burg
      Hallo @GrBaer185, hier mal die 2-jährige thailändische beobachtende muliticenter PROMPT-Studie mit 300mg Secukinumab, die die Therapie erstmals von Pso, PsA und AS - ankylosierender Spondylitis - unter Alltagsbedingungen beschreibt. PROMPT=Prospective Registry Of MultiPlex Testing Real World Data zur Anwendung von Secukinumab AU=Nadine Kretschmer, Gelbe Liste, 6.12.2024 https://www.gelbe-liste.de/dermatologie/real-world-data-secukinumab Real-Life Data of Secukinuma
    • Margitta
      malgucken Danke dir für die Wünsche, übrigens mein Wichtel Zeisig sitzt alle Jahre im Hausflur, liebe Grüße Gitti 
    • malgucken
      Dankeschön, Gitti. Ich wünsche dir auch eine schöne Adventszeit. 🧑‍🎄
    • Burg
      Noch lieber als Kräuterbonbons lutsche ich Halspastillen mit Isländisch Moos (isla) - diese müssen bei mir Zucker oder Saccharose enthalten, da ich alle Zucker-Austauschstoffe nicht vertrage. Nach dem Lutschen der Pastillen habe ich ein eher trockenes Gefühl im Mund (das ist nicht jedermanns Wunsch) aber das isländische Moos legt sich wie ein Film über die beim Beginn einer Erkältung gereizten Schleimhäute; das ist für mich sehr angenehm und verhindert in der Regel, dass sich der Infekt aus
    • SPONGEBOB
      Lang ists her.    Ja ich freu mich immer noch bei jeder Spritze die ich bekomme.    Dankbar und symtomfrei immer noch.    küsschen… 
  • 17 Juckreiz bei Schuppenflechte

    1. 1. Wie geht Ihr mit dem Juckreiz im Alltag um?


      • Ich nutze hauptsächlich kühlende Hautpflege und Kälteanwendungen (z.B. Cool-Packs).
      • Ich verlasse mich auf Entspannungstechniken und Stressmanagement (z.B. Meditation, Atemübungen).
      • Ich lenke mich aktiv ab und vermeide es, an den Juckreiz zu denken (z.B. durch Hobbys oder Bewegung).
      • Ich wende eine Kombination aus medikamentöser Behandlung und Hausmitteln an (z.B. Cortison plus Meersalzbäder).
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