Carolina
Nein, Carolina war kein hübsches Mädchen, das heimlich Liebestränke kochte und des nachts mit ihren Freundinnen durch die Lüfte fegte, sondern ein Gesetzestext. Offiziell hieß er „Constitutio Criminalis Carolina“ oder „Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karl V.“ (P.G.O.), wobei „peinlich“ hier sowas wie „strafen“ bedeutet (man kann also sagen, es war eine Strafgesetzordnung). Auch hat sich Karl V. nicht selber hingesetzt und über Paragraphen gebrütet, sondern war sozusagen nur Schirmherr der ganzen Angelegenheit. Ordnung in Strafangelegenheiten war nötig geworden im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Dort machte nämlich inzwischen jeder so, wie er dachte und wie ihm beliebte. Reichsstädte, Fürstentümer, Bistümer usw. hatten alle ihre eigenen Rechtsordnungen, wenn man das so nennen will. Denn eigentlich waren es weniger Ordnungen als Willkürlichkeiten. Lange Beweisführungen wie sie vorher üblich waren, wurden allmählich umgangen. Lieber folterte man den vermeintlichen Bösewicht so lange, bis er alles zugab, um ihn dann aufzuhängen, zu vierteilen, zu ertränken oder wonach einem sonst dünkte. Der Besitz (auch das Diebesgut) des Diebes/Mörders wanderte dann in die Tasche der Obrigkeit und nun muss man nicht lange 1 und 1 zusammenzählen, um zu vermuten, was da hintenrum abging. Die Carolina entstand aufgrund hunderter Beschwerden, die es über diese Willkür hagelte. In dem bunten politischen Wirrwarr des Reiches mahlten die Mühlen jedoch sehr langsam. Es vergingen ca. 36 Jahre von der ersten Klage vor dem Reichskammergericht 1496 bis zur Einigung über die einzelnen Artikel der Ordnung im Jahr 1532. Eine Einigung konnte auch nur deshalb erzielt werden, weil die Carolina dem „überkommenen“ Recht der Reichsstädte etc. den Vorrang zubilligte. Der Gesetzestext war so zwar nicht bindend, aber gewann trotzdem an Bedeutung und setze sich im Laufe der Zeit durch. Immerhin hielt er sich ca. 300 Jahre lang.
Den Text selbst habe ich nur in Teilen gelesen, denn es ist wirklich schwierig wie Ihr gleich sehen werdet. Wenn man sich die einzelnen Artikel zu bestimmten Strafverfahren durchliest, bleibt einem schon die Luft weg. Dennoch waren die Carolina-Strafen milder, als die vorhergehenden Bestrafungen. Freiheitsstrafe in dem Sinne wie heute, gab es damals noch nicht. Gestraft wurde durch Geldbußen (an die Bestohlenen, später auch an die Obrigkeit) und natürlich durch Strafen „am Leib oder Leben“ der Verurteilten. Innerhalb dieser Strafen gab es verschiedene Abstufungen. Die Verstümmelungsstrafen richteten sich vor allem nach dem Charakter der Straftat. Je nachdem wurden dann Ohren oder Zunge abgeschnitten (Kuppelei, Gotteslästerung), Hände abgehackt (Diebstahl), Finger abgeschnitten (Meineid) oder, als mildeste Körperstrafe, die Verurteilten ausgepeitscht. Bei der Todesstrafe ging man vom Kopf abhauen über erhängen, ertränken (meistens Frauen), lebendig begraben, pfählen bis zum Schlimmsten, nämlich rädern und vierteilen. Je nach Straftat konnten die einzelnen Strafen natürlich noch gekoppelt und mit weiteren Ehrstrafen „ornamentiert“ werden (z.B. Pranger, zur Richtstätte schleifen, tote Körper öffentlich ausstellen). Für die Folter schrieb die Carolina wichtige Bedingungen vor, d.h. es mussten bestimmte Indizien vorliegen, damit überhaupt gefoltert werden durfte. Damit umging man bzw. wollte man umgehen, dass ohne weiteren Beweis aus dem Angeklagten ein Geständnis herausgequält wurde. Interessant ist wirklich wie hier Strafe noch in engem Zusammenhang zur Tat steht, während ja im 19. Jahrhundert der Täter und seine Läuterung/Erziehung in den Mittelpunkt rückt.
Hier mal ein Beispiel-Artikel aus der Carolina:
Straff eygner tödtung
135. Item wann jemandt beklagt vnd inn recht erfordert oder bracht würde [vor Gericht gebracht], von sachen wegen, so er der überwunden [ihrer überführt] sein leib vnd gut verwürckt hett, vnd auß forcht solcher verschuldter straff sich selbst ertödt, des erben sollen inn disem fall seins guts nit vehig oder empfengklich [erbberechtigt], sonder solch erb vnd gütter der oberkeyt der die peinlichen straff, buß, und vell zustehn, heymgefallen sein. Wo sich aber eyn person ausserhalb obgemelter offenbaren vrsachen auch inn fellen da er sein leib alleyn verwirckt, oder sunst auß kranckheyten des leibs melancolai, gebrechlicheyt jrer sinn oder ander dergleichen blödigkeyten selbst tödtet, der selben erben sollen deßhalb an jrer erbschafft nit verhindert werden, vnnd darwider keyn alter gebrauch, gewonheiyt oder satzung statt haben, sonder hiermit reuocirt, cassirt und abgethan sein [bestand haben], vnd inn disem vnd andern dergleichen fellen, vnser Keyserlich geschriben recht gehalten werden.
Liest sich eigentlich nicht anders/schwerer als mancher Forumseintrag. Am besten ist natürlich „blödigkeyten“ – damals nannte man die Dinge eben noch kurz und griffig beim Namen bis im 19. Jahrhundert eine Wissenschaft daraus gemacht wurde.
Informationen über die Carolina habe ich aus dem Anhang zum reclam-Heft (2000) von Friedrich-Christian Schroeder.
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