Göttliche Ordnung und vernünftiges Töten – Teil 2
Auch wenn es manchmal den Anschein hat, ich bin leider nicht unfehlbar. ;o) Was ich hier so selbstverständlich über grausame Strafen im Mittelalter erzählt habe, muss jetzt eine kleine Zeitverschiebung in die Frühe Neuzeit erfahren. Das ist daher so wichtig, weil die Leute im Mittelalter, denen ja immer wieder Hinterwäldlerdasein und Barbarei nachgesagt wird, damit schon genug zu tragen haben. Da mein tieferes Geschichtswissen 394 n. Chr. mit Theodosius dem Großen endet und erst wieder im 19. Jahrhundert anfängt, war für mich bisher alles dazwischen mehr oder weniger Mittelalter. Nun ist eine meiner Freundinnen Frühneuzeitlerin und belehrte mich eines besseren. Im Mittelalter strafte man zwar auch durch körperliche Züchtigung, aber das Ausmaß an zeremonieller Folterei startete erst in der Frühen Neuzeit. Das ist ziemlich interessant, denn es fällt mit der kleinen Eiszeit zusammen. Verbrechen sah man ja als Vergehen gegen die göttliche Ordnung und man fürchtete die Rache des beleidigten Gottes, die sich in Missernten u.ä. manifestierte. Das heißt, je ausgiebiger man folterte, umso barmherziger würde sich Gott (hoffentlich) zeigen. Die kleine Eiszeit brachte nun einen ganzen Schwung an Missernten und demzufolge Hungersnöten mit sich. Rechnet man noch den 30jährigen Krieg dazu, Glaubenskämpfe und was weiß ich nicht, kann man sich vorstellen, dass die Leute mit ihrem Latein am Ende waren. Teile der Körper der Hingerichteten wiederum versprachen Glück und Schutz. Etwas Blut auf die Tür gestrichen schützte vor Bränden; getrunken konnte es Epilepsie heilen, denn es vertrieb die Dämonen aus dem Körper. Abgeschnittene Finger wurden besonders gern an Bauern verkauft, die sich davon reiche Ernten und fettes Vieh versprachen.
Mit der Aufklärung und dem Wissen, dass die Gesellschaft durch keine göttliche Ordnung zusammengehalten wird, sondern durch eine Art ungeschriebenen Vertrag zwischen den Individuen (nach dem Motto, wir schließen uns vernünftigerweise zusammen und halten Regeln ein, die uns zwar einerseits in unserer Freiheit beschneiden, aber uns andererseits überhaupt erst ermöglichen, unser Leben zu genießen, da wir uns gegenseitig schützen, ernähren und fördern), änderte sich auch die Einstellung zum Verfahren der Todesstrafe. Man ging von dem Menschen als vernünftiges Wesen aus, das prinzipiell keinen Vorteil in einer Straftat sehen konnte, den der Nachteil der Strafe nicht überwog. Wer also trotzdem straffällig wurde, konnte nur als verrückt und wahnsinnig klassifiziert werden, davon war man überzeugt. Pamphlete über Pamphlete wurden darüber verfasst und die Verteidiger lachten sich ins Fäustchen und spielten psychologische Trumpfkarten aus, die ihre Mandanten für nicht zurechnungsfähig erklärten. Die Richter waren nicht blöd und rochen den Braten und verlangten ihrerseits zahlreiche Gutachten. Die Kriminalpsychologie nahm so ihren Anfang und anstatt auf das Verbrechen konzentrierte man sich von nun an auf den Verbrecher (Profiler, CSI etc. lassen grüßen). Immer weniger Todesurteile wurden ausgesprochen und noch weniger vollstreckt. Dazu kam noch, dass ein vernünftiger Mensch natürlich keine Freude an einer öffentlichen Zeremonie des Hinrichtens haben konnte und sollte. Dass die Exekution als Abschreckungsmaßnahme nicht funktionierte, sondern eher das Gegenteil hervorrief, hatte sich inzwischen erwiesen. Die öffentliche Gewalttätigkeit des Staates sanktionierte scheinbar Gewalt und der Anblick von Verstümmelungen etc. führte eher dazu, dass die Leute verrohten und nicht vor Schreck die eigenen Handlungen besser überdachten. Eine Abschaffung der Todesstrafe kam jedoch nicht infrage. Sie gehörte zur Gesellschaft wie das Amen in der Kirche. Ohne sie befürchtete man die totale Anarchie. Auch konnte man sich bei Morden (vor allem an Kindern) kein besseres Strafmaß vorstellen. Diese Zwickmühle wurde durch zwei zweckmäßige Importe behoben. La guillotine gewährte ein schnelles („humanes“), vernünftiges und unspektakuläres Töten und das amerikanische Vorbild der Exekution im nichtöffentlichen Rahmen mit einer ausgesuchten Anzahl männlicher erwachsener Zeugen gewährte die Verschleierung/ Verheimlichung der Staatsgewalt.
Unsere offenbar rein menschliche Freude an Gewaltszenen wird mittlerweile durch das Fernsehen kompensiert; ebenso kursieren genug Videos und Clips zu dem Thema, die nicht zuletzt auch Hinrichtungen bzw. Hingerichtete zeigen.
Mein Wissen habe ich aus der Habilitationsschrift von Jürgen Martschukat (klug und sexy:p) über „Inszeniertes Töten: Eine Geschichte der Todesstrafe vom 17. bis zum 19. Jahrhundert“, 2000.
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