Fakten und Denkanstöße aus Istanbul
Von Claudia,
Wenn Euer Hautarzt in den letzten Tage nicht in der Praxis war, hatte er – neben Herbstferien – vielleicht einen guten Grund: In Istanbul tagt bis zum morgigen Sonntag die Europäische Akademie für Dermatologie und Venerologie. 9000 Teilnehmer wurden gemeldet.
Erstmals konnte die Außenwelt davon auch mehr erfahren, ohne unbedingt dort gewesen sein zu müssen. Diesmal war wirklich viel auf Twitter zu lesen. Das schaffen die deutschen Hautärzte bei ihrer jährlichen Tagung bzw. Fortbildung bislang nicht. Mit dem Hashtag #EADV2013 jedenfalls konnte jeder die Veranstaltung in Istanbul verfolgen. Die meisten Beiträge drehten sich sogar um die Schuppenflechte. Vor allem die internationale Vereinigung der (nationalen) Psoriasis-Verbände IFPA twitterte sehr, sehr fleißig aus den Vorträgen und Symposien - was, steht weiter unten.
Ein paar Worte über Twitter
Wer Twitter bislang nicht so gut kennt: Das ist ein Kurznachrichtendienst. Was man dort wie eine SMS hinschreibt, kann aber jeder lesen, der auch bei Twitter angemeldet ist. Man kann anderen Nutzern folgen, ihre Nachrichten damit sozusagen abonnieren. Wenn mehrere Twitter-Nutzer von ein und derselben Veranstaltung oder zum selben Thema etwas schreiben, einigen sie sich oft auf einen so genannten Hashtag, eine Art Codewort. Das schreibt dann jeder in seine Nachricht. Damit fällt es anderen leichter, zu sehen, wer alles was von der gleichen Veranstaltung berichtet. Ein Beispiel ist aktuell der Hashtag #S04FCA - darunter sind dann alle Twitter-Nachrichten versammelt, die sich um das Spiel von Schalke 04 gegen den 1. FC Augsburg drehen.
Für das Psoriasis-Netz gibt es auch einen Twitter-Account. Dort werden neue Artikel, Beiträge aus der Presseschau oder auch mal Berichte von Tagungen oder Treffen angekündigt.
Zurück nach Istanbul und zu den Hautärzten
Die Firma Novartis hat während der Tagung neue Ergebnisse zu ihrem nächsten Psoriasis-Medikament mit dem Wirkstoff Secukinumab bekanntgegeben. Die für uns auffällig stärkere Aktivität auf Twitter als sonst bei solchen Terminen könnte also auch ein Ergebnis davon sein, dass die Firma einiges in die Richtung investiert. Bei Twitter wurde so auch auf neue Studiendaten zu Secukinumab hingewiesen. Demnach soll die Substanz in einer einjährigen Untersuchung bei Psoriasis-Patienten wirksamer und schneller gewesen sein als Etanercept (Enbrel®).
Auf jeden Fall hatte Novartis sowohl eine neue Initiative als auch einen Haut-Chat (#skinchat) initiiert. Bei Letzterem konnte jeder seine Frage per Twitter einsenden. Am Freitag von 14 bis 15 Uhr unserer Zeit gab's die Antworten. Ich hatte auch drei Fragen eingesandt, beantwortet wurde lediglich eine. Man kann eben nicht alles haben
Ich fragte, warum die Psoriasis-Stellen bei dem einen am Knie, beim anderen an der Hand und beim Dritten am Rücken auftreten. Die Experten schrieben, dass das ungeklärt sei. Eine Nachfrage zu Daten zur Fettleber bei Psoriatikern und die Frage, ob es (noch) Forschung für neue Cremes in Europa gibt, blieben ohne Antwort.
Fakten und Denkanstöße im Einzelnen
Die oben schon genannten Twitter-Nachrichten der IFPA aus den Symposien waren sehr sachlich und übersichtlich. Es war zu spüren (und zwar angenehm), dass da mit Andrew Spong ein Social-Media-Profi beauftragt wurde.
Ich zitiere jetzt mal aus Twitter-Nachrichten vom ersten Tag der Tagung, vom 3. Oktober. Einige sind reine Fakten, einige fand ich gute Denkanstöße. Nichts davon kann ein Thema erschöpfend behandeln, aber so ist Twitter auch nicht angelegt. In SMS kann man schließlich auch keine ganzen Romane schreiben.
Verlinkt ist immer ein konkreter Tweet, bei längeren Aussagen der erste zum Thema. Kursiv sind Hinzufügungen von mir.
Psoriasis-Patienten haben eine um 70 Prozent erhöhte Wahrscheinlichkeit, eine Fettleber zu entwickeln - ohne, dass Alkohol dabei eine Rolle spielt. Ärzte sollten das im Hinterkopf haben, wenn sie dann noch Medikamente verschreiben, die für die Leber giftig sein könnten.
Ulrich Mrowietz (einigen sicherlich von der Uni-Klinik in Kiel bekannt)
Bei einigen Patienten könnte es ausreichen, Ustekinumab (Stelara®) nicht streng nach "Vorschrift" (also meist alle drei Monate) zu geben, sondern dann, wenn es wieder benötigt wird, die Stellen also wieder auftauchen.
Kristian Reich (einigen sicherlich aus dem Dermatologikum in Hamburg oder früher aus der Uni-Klinik Göttingen bekannt)
Hier ging es um die Langzeit-Sicherheit von Biologics.
Sicherheitsbedenken sind der Hauptgrund, warum viele Patienten nicht mit Biologics behandelt werden (Stichwort "undertreatment" - Unterversorgung). Bei kontinuierlichen Beobachtungen sei bislang kein Unterschied zu Placebos gesehen worden, was die Sicherheit angeht.
Biologics werden bei den Patienten mit schwerer Psoriasis eingesetzt - etwa 10 Prozent. Das lässt 90 Prozent mit leichter bis mittelschwerer Schuppenflechte unterversorgt.
Psoriasis-Patienten sind unter jenen, die am wenigsten das befolgen, was ihnen ihr Arzt sagt ("Compliance" bzw. Adhärenz). Die Compliance sinkt um 20 Prozent alle fünf Wochen – selbst dann, wenn rein technisch jedes Mal registriert wird, wenn eine Verpackung (Creme…) geöffnet wurde.
Seine Tipps (die so logisch klingen…):
Die Ärzte sollten
- sich hinsetzen
- sich selbst vorstellen (…)
- die Psoriasis-Stellen abtasten
- dem Patienten gut zuhören
- ihm Fragen stellen
- mal sehen, was die Patienten antworten, wenn er sagt: "Ihre bisherigen Behandlungen waren wahrscheinlich schon ziemlich frustrierend."
- psychische Probleme ansprechen und
- auf Selbsthilfegruppen hinweisen.
Gibt der Arzt einem Patienten seine Handynummer, zeigt das, wie sehr er sich um ihn kümmert.
In einer Pro-und-Kontra-Debatte über die Langzeit-Anwendung von Biologics ging es zunächst um die Sicherheit:
Es ist nicht komplett klar, welche Risiken eine Langzeitbehandlung mit Biologics für den Patienten bringt.
Jonathan Barker gab zu bedenken:
- Sind Biologics langfristig sicher?
- Kein Biologic lindert die Psoriasis vollständig.
- Die langfristige Wirksamkeit ist unzureichend.
- Die randomisierten Doppelblind-Studien konzentrieren sich mehr auf die Wirksamkeit als auf die Sicherheit und schließen die Risiken von Nebenwirkungen (korrekt: unerwünschten Arzneimittelwirkungen) aus. Mehr Forschung ist nötig.
- Die Kosten sind das letzte Problem (in dieser Aufzählung). Eine Biologic-Behandlung kostet durchschnittlich 12.000 Euro pro Jahr. In Großbritannien verbrauchen 10 Prozent der Schuppenflechte-Patienten 40 bis 60 Prozent der Aufwendungen für die Psoriasis-Behandlung. 90 Prozent der Patienten sind unterversorgt.
- Wirksamkeit, Sicherheit und Kosten sind alles Argumente gegen die Nutzung von Biologics.
Mit dieser starken Meinung schließe ich mal die kurzen Statements vom ersten Tag. Sollte irgendeiner Interesse zeigen, wühle ich mich auch gern durch die Twitter-Nachrichten der nächsten beiden Tage.
Was meint Ihr aber zu der einen oder anderen Aussage?
Foto: Tomsk / pixelio.de
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