Im September 2016 fand in Münster das 5. Symposium zum Chronischen Juckreiz statt. Es ist ziemlich eindeutig, dass der Juckreiz dann zurückgeht, wenn die Psoriasis effektiv behandelt wird. Die einzige Anti-Histaminika-Gruppe, die bei Schuppenflechte helfen kann, wird zukünftig in der Leitlinie des chronischen Juckreizes nicht mehr empfohlen.
Juckreiz-Forschung
Die Erforschung des Juckreizes (Pruritus) ist ein relativ junges Fachgebiet der Medizin. Ausführlich haben wir unter „Dem Juckreiz auf der Spur“ den Wissensstand in 2012 dargestellt. Schon damals war klar, dass es nicht nur Hautkrankheiten sind, die einen unerträglichen Juckreiz verursachen können. Im Artikel „Wie sich das Kratzen stoppen lässt“ haben wir aufgezählt, welche Möglichkeiten es gibt, mit Juckreiz umzugehen und ihn zu behandeln. Das blieb aber in vielen Fällen unbefriedigend, weil es bisher kein zugelassenes Medikament gegen den chronischen Juckreiz gibt. Alle Medikamente werden außerhalb ihrer Zulassung („off-label“) verschrieben. Erst in den nächsten Jahren wird es Präparate geben, die zur Therapie des Chronischen Pruritus zugelassen sind.
Psoriasis und Juckreiz
Es hat sehr lange gedauert, bis Dermatologen akzeptiert haben, dass auch Psoriasis - Patienten unter Juckreiz leiden können. Möglicherweise haben sie nicht danach gefragt und Patienten haben nicht von selbst davon berichtet. Prof. Ulrich Mrowietz (Kiel) verwies in diesem Zusammenhang auf eine aktuelle Studie. Die ergab, dass nur 7,4 Prozent der befragten Ärzte den Juckreiz als wichtigstes zu behandelndes Symptom bei der Psoriasis angesehen haben – im Gegensatz zu 38 Prozent der Patienten. Betroffen seien aber zwischen 64 und 97 Prozent.
Juckreiz unabhängig vom PASI
Mrowietz bezeichnet die Juckreiz-Intentsität bei Psoriatikern als „moderat“. Auf einer Skala von 0 bis 10 würden zwischen 4,2 und 6,4 Punkten angegeben. Es gäbe aber keinen Zusammenhang zwischen dem Schweregrad der Psoriasis (PASI) und dem des Juckreizes. Eine Studie belege, dass bei Übergewicht, das Jucken zunehme. Regelmäßige Hautpflege („Basistherapie“) führe bei weniger als 20 % der Psoriatiker dazu, dass der Juckreiz deutlich abnehme, so Mrowietz.
Psoriasis weg – Juckreiz weg
Schwerer Juckreiz, bei ansonsten leichter Psoriasis, sei ein akzeptierter Grund, mit innerlichen Medikamenten zu behandeln. Normalerweise verschwinde der Juckreiz durch eine erfolgreiche Therapie, weil er meist in den Psoriasis-Herden auftrete. Das gelte für alle äußerlichen wie innerlichen Therapien. Mit höher dosiertem Etanercept (Enbrel) und mit Apremilast (Otezla) würde der Juckreiz relativ schnell verschwinden – meist schon bevor sich die Haut sichtbar verbessere. Eine laufende Studie mit Secukinumab (Cosentyx) lasse erwarten, dass die Wirkstoffgruppe der IL-17a-Antikörper besonders gut auf den Juckreiz wirkt.
Wirkstoffe gegen Juckreiz
In schweren Fällen müsse man zusätzlich Medikamente geben, die gezielt auf den Juckreiz wirken. Bei der Psoriasis würden unter den Anti-Histaminika nur die der ersten Generation wirken, so Mrowietz. Das sind die, die müde machen. Genau diese Wirkstoffgruppe wird aber in den neu gefassten Therapie-Empfehlungen zur Juckreiz Pruritus-Behandlung (Leitlinie) ausdrücklich ausgeschlossen. Vielversprechend seien die Studienergebnisse für das äußerlich anzuwendende Präparat CT327. Das wirke zwar nicht auf die Psoriasis, aber sehr gut auf den begleitenden Juckreiz. Die Firma Creabilis will es Mitte 2018 auf den Markt bringen.
Intensität des Juckreizes
Nichts scheint so schwer, als den Juckreiz objektiv zu messen. Am verbreitesten sind Skalen von „Kein Juckreiz = 0 bis „Schlimmster vorstellbarer Juckreiz = 10. Das sind dann persönliche, also subjektive Bewertungen. Mithilfe von Fragebogen kann zusätzlich ermittelt werden, wie viel juckfreie bzw. juckarme Tage man hatte, wann und wie lange es gejuckt hat, wie man sich kratzt, ob der Schlaf gestört ist u.m.
Lebensqualitäts-Index
Um genauer einschätzen zu können, welche Auswirkungen Juckreiz für den einzelnen Patienten hat, wird danach gefragt, wie stark sein Leben davon beeinträchtigt ist. Dafür wird eine Kennzahl ermittelt, der „Juckreiz-Lebensqualitäts-Quotient“ (ItchyQoL). In der deutschen Version werden über 20 Fragen dazu gestellt, wie sich das Jucken auf den Alltag auswirkt. Im Gegensatz zum DLQI unterliegt dieser Fragebogen dem Copyright. Um für sich selbst beurteilen zu können, wie schlimm ein Juckreiz ist, wäre eine veröffentliche Fassung für Patienten wünschenswert.
Frauen und Männer empfinden unterschiedlich
Dr. Jörg Kupfer (Gießen) berichtete von ersten Ergebnissen einer Befragung. Danach würden Frauen auf der Juckreiz-Skala höhere Werte angeben, als Männer. Frauen mit geringerer Schulbildung empfanden den Juckreiz stärker als höher gebildete. Tendenziell würden sich Frauen mehr dadurch belastet und in ihrer Berufstätigkeit beeinträgt fühlen als Männer. Sie empfanden ihre gesamte Lebensqualität stärker eingeschränkt. Generell würden Frauen im Vergleich zu Männern wegen des Juckreizes eher Ängste und Ausgrenzungsgefühle bis hin zu Depression entwickeln. Eigentlich aber, so Kupfer, würden Ängste und Depressionen bei fast allen Krankheiten auftreten.
Prof. Bettina Pfleiderer (Münster) ergänzte, Frauen fühlten sich durch sichtbare Hautläsionen stärker betroffen, reagierten aber gelassener auf Stress. Sie stellte eine Internet-Plattform vor, auf der Mediziner das Fachwissen zu Geschlechterunterschieden bei Erkrankungen und deren Therapien sammeln.
Jucken und Kratzen wirken ansteckend
Das Juckreiz-Empfinden sei wie Gähnen ansteckend, berichtete Dr. Kupfer. Man habe Hautgesunden und Hautkranken audio-visuelle Darstellungen gezeigt, die zum Kratzen motivieren sollten. Menschen mit Psoriasis und Neurodermitis hätten sich dreimal so oft gekratzt, wie die Kontrollgruppe. Sein Rat: Man solle Haut-Patienten nicht gemeinsam auf ein Zimmer legen, damit sie sich nicht unbewusst gegenseitig zum Kratzen animieren.
Interessant jedoch: Patienten, die gut über Juckreiz und Kratzfolgen informiert waren, zeigten weniger und kürzere Kratzbewegungen.
Kratzen kann Juckreiz hervorrufen
Mehrere Referenten stellten vor, was man bisher über die Ursachen und Abläufe des chronischen Juckreizes im Nervensystem weiß. Da ging es z.B. um die Frage, wie Schmerz und Juckreiz entstehen und neuronal weitergeleitet werden, um juckreizauslösende Botenstoffe und um aktive Juckreiz-Rezeptoren (Pruritogene).
Prof. Martin Schmelz (Mannheim) berichtete, dass bei einer beschädigten Nervenzelle der Botenstoff GRP, eigentlich für Schmerz gedacht, ein Juckreiz-Signal aussendet. Er warnte deshalb davor, sich blutig zu kratzen. Das könne einen eigenen Juckreiz-Kreislauf starten, unabhängig von der dahinterstehenden Krankheit. Dagegen empfahl Prof. Sonja Ständer (Münster), statt eines Kratzverbots direkt den Juckreiz zu behandeln. Denn es sei fast unmöglich, Patienten dazu zu bringen, sich nicht zu kratzen.
Pruritus-Leitlinie 2016
Ein Höhepunkt des Pruritus Symposium war die Ankündigung, dass es ab Oktober 2016 aktualisierte Empfehlungen zur Diagnose und Behandlung des chronischen Juckreizes (Leitlinie) geben wird. Prof. Ständer verwies darauf, dass Vertreter von 12 medizinischen Fachgesellschaften sich letztendlich auf ein Konzept geeinigt hätten. Das ist aus unserer Sicht eine lobenswerte Ausnahme: Bisher kommt es immer wieder vor, dass ein und dieselbe Krankheit in den jeweiligen Leitlinien einzelner Fachgesellschaften behandelt wird. Entsprechend unterschiedlich, manchmal sogar widersprüchlich, fallen dann die Therapie-Empfehlungen aus.
Zur Behandlung des Juckreizes werden jetzt nicht mehr empfohlen:
- sedierende Anti-Histaminika, d.h. die erste, müdemachende Generation.
- Leukotrien-Rezeptor-Antagonisten
- Serotonin-Rezeptor-Antagonisten
- Systemische Kortikosteroide, d.h. innerliche Kortisonpräparate (bis auf Ausnahmefälle).
Weil es keine zugelassenen Juckreiz-Medikamente gibt, werden in der neuen Leitlinie eine Vielzahl von Wirkstoffen empfohlen, die für andere Krankheiten zugelassen sind („off-label-use“).
Aufgeschnappt
"Im Gegensatz zu den Psoriatikern, empfinden 100 Prozent der Neurodermitiker einen Juckreiz, der darüberhinaus deutlich intensiver ist.", Prof. Elke Weisshaaar
"Wenn man sich täglich seinen Körper vollständig eincremen muss, benötigt man im Monat bis zu 1 kg Pflegeprodukte", Dr. Petra Staubach
"Psoriatiker bekommt man schwerer in Patientenschulungen als Neurodermitiker.", Dr. Sibylle Scheewe
"Bei den Biologika gegen IL-17 gibt es in der Praxis mehr schwer zu behandelnde Candida-Infektionen in Mund- und Rachenhöhle als in den Studien.", Dr. Athanasios Tsianakas
"Psoriatiker mit hohen Leberwerten sollten nach einer Primär biliären Collangitis (PCB) getestet werden, da beide Krankheiten zusammen auftreten können.", Dr. Andreas Kremer
In den kommenden Jahren werden 53 weitere Firmen Psoriasis-Medikamente auf den Markt bringen. Dabei sind mindesten zwei neue Cremes für die äußerliche Behandlung.
Dr. A. Tsianakas
Zum Weiterlesen
Quelle:
"Pruritus - Von der Neurobiologie bis hin zur Patientenversorgung", Schwerpunktthema in Der Hautarzt Heft 8, August 2016, mit Artikeln der auf dem Symposium behandelten Themen.
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